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Ein weißer Fleck auf der Landkarte

■ Die Annäherung des israelischen Botschafters Avi Primor an Deutschland

An der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin ist eine Gedenktafel angebracht. Die Ruine solle, so steht dort geschrieben, „an das Gericht Gottes erinnern, das in den Jahren des Krieges über unser Volk hereingebrochen ist“. Ein vielfach gelesener, ein in vieler Hinsicht fragwürdiger Satz. Denn was verbindet diese Inschrift mit der grausamen Realität der Naziverbrechen? Und über welches Volk ist denn dieses Gottesgericht hereingebrochen? Fragen, die sich der israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, stellt. Fragen, die er an die Leser seines autobiographischen Buches „... mit Ausnahme Deutschland“ richtet. Es ist ein kollektives Selbstmitleid, so antwortet Primor, das ihn, seit er in diesem Land tätig ist, bisweilen von gußeisernen Tafeln genauso unbedarft anschaut, wie es ihm beim Cocktailtalk in die Ohren dringt. Bemerkenswert findet er an dieser nationalen Eigenart, daß sich darin das Gesetz von Ursache und Wirkung umzukehren oder gar völlig zu verflüchtigen scheint.

Primor ist seit drei Jahren von Berufs wegen mit dieser Eigenart konfrontiert. Bemerkenswert ist weniger die professionelle Gelassenheit, die er dabei an den Tag legt. Bemerkenswert ist vielmehr, daß er Israel überhaupt in einem Land repräsentiert, mit dem er nie etwas zu tun haben wollte. Deutschland, das war für ihn von Kindsbeinen ab „ein weißer Fleck“ auf der Karte.

Vom Immer-kleiner-Werden dieses Fleckes handelt Primors Buch. Es erzählt von der Jugend des ersten im Nahen Osten geborenen Botschafter Israels. Damals, in den fünfziger Jahren, war er wenig geneigt, Hinweise auf die sich verändernde politische Situation in Deutschland Gehör zu schenken. Deren Umgang mit den Naziverbrechen, deren Heuchelei, ließ ihn Begegnungen mit Deutschen meiden.

Die erste, unfreiwillige Reise führt den 23jährigen nicht nach, sondern durch Deutschland. Ein Transit mit dem Auto, das im Gefühl äußerster Anspannung und Beklommenheit absolviert wird. Nicht mal aus dem Fenster schauen wollte er. Es sollte noch über dreißig Jahre dauern, bis Primor einen Fuß in dieses Land setzt. Dreißig Jahre, in denen der Diplomat zunächst in Afrika seine Vorbehalte in ersten Kontakten mit einem deutschen Kollegen relativiert, um zuletzt – Primor ist Ende der achtziger Jahre Botschafter in Brüssel – von einem entspannten Verhältnis zu reden.

Dazwischen lag, was bisweilen unbedarft als Normalisierung des israelisch-deutschen Verhältnisses beschrieben wird und was doch nicht normal war. Angefangen bei den Verhandlungen über die „Wiedergutmachung“ – eine deutsche Wortschöpfung, die, so Primor, in Israel wie Sprengstoff gewirkt hätte, wäre dort der Sinn bekannt gewesen. Weniger der Wille zur Versöhnung, sondern klandestine Waffenlieferungen beförderten die Aufnahme diplomatischer Beziehungen, die wiederum lange Zeit unter dem taktischen Vorbehalt der Hallstein-Doktrin stand. Primors Buch ruft vieles in Erinnerung, setzt sich verständig und kritisch mit der Entwickung auseinander. Und läßt doch letztendlich im dunkeln, welcher Prozeß sich dabei in ihm selbst vollzog, der es ihm ermöglichte, sein Land auf eben jenem weißen Fleck zu vertreten, den er doch immer meiden wollte. Daß er allenfalls zu umschreibenden Formulierungen greift, mag eine deformation professionel des Diplomaten sein, der es gewohnt ist, sich auf schwierigem Feld umsichtig zu bewegen. Und einfach umzugehen ist mit dem deutsch-israelischen Fleck auch heute noch nicht. Dieter Rulff

Avi Primor: „...mit Ausnahme Deutschland“. Ullstein Verlag, Berlin 1997, 281 Seiten, 39,90 DM

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