: Heiliges Sparbuch, heilige Parzelle
In seinem neuesten Buch „Anleitung zum Stadtumbau“ plädiert der Masterplaner Dieter Hoffmann-Axthelm für die Umsetzung seiner Theorie ■ Von Jochen Becker
„Wenn ich im Plan studiere, in einem Gebiet mit offener Bauweise dürfe es keine Schornsteine geben, dann habe ich (...), ohne mich auf das Gebiet der Sozialpolitik zu begeben, eine schichten- bzw. einkommensspezifische Zuordnung vorgenommen: ein Villenquartier gesichert“, beschreibt Dieter Hoffmann-Axthelm, ehemals Theoretiker einer „behutsamen Stadterneuerung“, die Kniffe der Planerkollegen. In seiner „Anleitung zum Stadtumbau“ steht mithin nicht mehr allgemeine Stadttheorie, sondern deren „Durchsetzung im Vordergrund“. Plötzlich liest sich der Leitfaden wie eine Gebrauchsanweisung und meint der hier vorgeschlagene Stadtumbau längst schon die konkrete Überholung der Stadt. Denn mitten hinein in die Buchlektüre platzte der heftig geführte Streit um das Berliner „Planwerk Innenstadt“, welches von Dieter Hoffmann-Axthelm im Senatsauftrag entscheidend geprägt wurde.
„Was man fachlich will, muß man zugleich medial durchsetzen, (...) Stadtumbau beginnt im Kopf.“ Um- und Rückbau sind nicht nur im ärmeren Ostteil Berlins gefürchtete Vokabeln, ziehen sie doch neben dem Angriff auf das Selbstverständnis vor allem Verdrängung und Abriß mit sich. Zur „Planung zwischen Politik und Investoren“ gewährt Hoffmann- Axthelm einen Einblick in Machtverhältnisse und Befindlichkeiten: „Wer mit einem Investor verhandelt, muß wissen, mit wessen Geld er baut – eigenem oder fremdem, Anleger-(Fonds) oder Kreditgeld und an welcher Stelle des höchst arbeitsteiligen Geschäfts er sein Geld verdient.“ Hoffmann-Axthelm ist ein Mann der durchsetzenden Praxis. Er mag die „Polarisierung in Sieger, die mitschwimmen können, und verbitterte und alkoholisiert der Pension entgegenschleichende verbrauchte Zyniker“ ebensowenig wie den „langjährigen gemütlichen Aufenthalt im Städtebaucafé“. Das nennt man in Berlin „den Tiger reiten“. Sein Buch ist „denen gewidmet, die das Risiko eingingen, mir Aufträge zu geben“, und meint damit die „Auftraggeber der letzten 15 Jahre“ – allesamt machtbewußte Stadtpolitiker oder Investoren.
In seiner Zeit als Kreuzberger Stadthistoriker nahm sich Hoffmann-Axthelm selbstverständlicher den Verdrängungsopfern an. Im aktuellen Buch erfährt man dagegen nur noch wenig über Planungskonzepte in Zusammenarbeit mit den davon betroffenen NutzerInnen. Artikulierte Opposition der BewohnerInnen, Zweifel an der Dynamik des Kapitals oder handgreifliche Konflikte sucht man vergeblich. Statt dessen soll ein neu entdecktes „Stadtbürgertum“ Eigentum bilden und nicht mehr nur im zersiedelten Grünen sein Häusle bauen: „Erst wenn die Stadt wieder ein Platz für die niedergewalzten kleinbürgerlichen Lebensinteressen ist, ist die deutsche Stadtfeindlichkeit besiegbar.“ Nichts sei so motivierend wie Eigentum, denn die „private Parzelle ist so heilig wie das private Sparbuch“. Da werden sich die kapitalschwachen Ostler noch wundern, wer ihnen die gebauten Rücklagen vor die Nase setzen wird.
„Nicht so viel fotografieren, sondern lieber noch einmal hingehen“, „am richtigen Ort ein Bier trinken“ oder „Gespräche mit Hausbewohnern und Stadtintellektuellen“ gehören laut Hoffmann-Axthelm in den Werkzeugkasten fußläufiger Planung. Sein Buch argumentiert gegen den Stadtzerfall durch „Teppichurbanisierung“ des Umlands genauso wie gegen die im Sinne eines Branchenmixes zugerichteten Konsumquartiere im Stadtzentrum selbst. Die „Landschaft mit Handy“ als Verflechtungsraum der Dauerpendler soll einer innerstädtischen Dichte weichen, mit einer klaren Kante zwischen Stadt und Land, welche der Mobilität Grenzen setzt.
Das reale Land reduziere sich beim ICE-Bau auf Zeitverluste, die Stadterweiterung EuraLille sei nur mehr Schnellbahnknoten für 60 Millionen Anrainer, die Rhein- Main-Region gruppiere sich um das neue Zentrum Flughafen, und im Ruhrgebiet ist überall Peripherie und nirgendwo mehr Stadt. Aber auch in den Citys werden Autarkie behauptende Stadtteile wie etwa das Projekt „Potsdamer Platz“ als „Funktionsinseln“ ohne gesamtstädtische Verwurzelung hineingesetzt. „Man schnürt Überlebenspakete im ungeklärten Gelände des Stadtzerfalls“, statt auf die „gesellschaftliche Vereinigungskraft der traditionellen Stadt“ zu bauen.
Laut seinem recht kulturpessimistischen Szenario wird Stadt zum Freizeitpark und Zirkus, Erlebniseinkauf, Musical oder Multimedia bilden das Zentrum. Die neuen User der Stadt „konsumieren Urbanität“, doch in der „Geographie des Geldes“ findet der Friedhof nur mehr draußen – zwischen Güterverteilzentren und Kläranlage – Platz. Für Hoffmann- Axthelm ist die von der Computerbranche propagierte „Telepolis“ ein „Utopieaufkleber“: Als ihre Realität folgt die Versiegelung der Landschaft durch „just in time-Lieferung, periphere ,back offices‘ und Logistikzentren“. Dazu finden sich im Buch eine Fülle anschaulicher Bilder von Investoren- und Developer-Architektur.
Doch wie lassen sich diese Entwicklungen in Zeiten des „Negativwachstums“ umkehren? Hierzu will der Planer die anfangs erwähnte Dynamik des stadtbürgerlichen Eigentums entfesseln. Sein „Stadtprinzip ,Mitsprache‘“ bleibt jedoch auf die vorrangige Bindung von behördlicher „Planung und bürgerlichem Mitspracherecht/ Mitverpflichtung“ reduziert. Am Beispiel der Planung für Kassels Neuunterstadt führt Hoffmann- Axthelm die Geschichte eigener Berufspraxis vor, wobei nicht etwa die BewohnerInnen entscheidende Bündnispartner darstellten, sondern Lokalzeitungen und Parteipolitik: „Ideal sind Punkte, die so harmlos scheinen, daß Widerstand ausbleibt. (...) Verpaßt man diesen unmittelbaren Eingriff (...), ist erfahrungsgemäß der ganze Plan archivreif.“
Der städtische Konflikt findet für Hoffmann-Axthelm nicht auf der Straße oder in Versammlungen statt, sondern wird in Gremien, Fachkommissionen und Planungsbüros ausgelagert. Die BewohnerInnen der Stadt sind jedoch nicht immer so geduldig wie die Planwerke ihrer künftigen Lebensverhältnisse.
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