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Gekürzt bis unter die Gürtellinie

■ Die Mittel für Umschulungen, Fort- und Weiterbildung werden drastisch gestrichen. Oft bleibt nur selber zahlen

„Bilde dich selbst, und wirke auf andere durch das, was du bist“ – wüßten wir nicht, daß diese Worte aus dem Munde Humboldts stammen, könnten wir glauben, sie kämen aus dem Hause Blüm. Denn Weiterbildung wird auch im Bonner Arbeitsministerium groß geschrieben – nur die Mittel dafür werden immer kleiner. Wer sich weiterbilden will, so die Devise, soll selber zahlen – oder die Angebote des Arbeitgebers nutzen. Eine Fortbildungsmaßnahme vom Arbeitsamt zu bekommen wird immer schwieriger.

12,8 Milliarden Mark stehen der Bundesanstalt für Arbeit (BfA) in diesem Jahr für den Bereich der beruflichen Bildung zur Verfügung – das sind fast drei Milliarden Mark weniger als in den Vorjahren. Die Zahl der Weiterbildungsmaßnahmen wurde zwischen 1991 und 1996 von knapp 1,5 Millionen auf rund 550.000 heruntergeschraubt. Damit haben Fortbildung und Umschulung laut Weiterbildungsbericht des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) den Stand der frühen 80er Jahre erreicht.

Das Maß des Machbaren ist erreicht – „jetzt geht es wirklich unter die Gürtellinie“, so Werner Kinzinger von der überregionalen Beratungsstelle Aktion Bildungsinformation (ABI) in Stuttgart. Für die Arbeitsämter vor Ort bedeuten die Mittelstreichungen umverteilen, umschichten, strecken – wo es nur geht. „Wir versuchen, die Teilnehmerzahlen des Vorjahres beizubehalten und statt dessen die Maßnahmen zu verkürzen“, so Petra Röhlinger vom Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg. Bei gleicher Leistung würden die finanziellen Mittel in diesem Jahr nur noch für 54.000 Fortbildungen und Umschulungen reichen, das wären 12.000 weniger als im Vorjahr. Damit möglichst niemand leer ausgeht, werden Lehrinhalte komprimiert – statt zum Beispiel acht Monate EDV-Kurs nur noch sieben. „Deshalb muß die Qualität nicht schlechter werden“, sagt Röhlinger.

Doch nicht immer wird es gelingen, die Teilnehmerzahlen beizubehalten. In der Hansestadt Hamburg zum Beispiel wird in diesem Jahr jeder zehnte, der im vergangenen Jahr noch eine Chance auf eine Weiterbildungsmaßnahme gehabt hätte, unverrichteterdinge wieder nach Hause geschickt. Denn das erste Ziel der Arbeitsämter ist die berufliche Wiedereingliederung der Teilnehmer in den Arbeitsmarkt. Ganz oben auf der Prioritätenliste stehen deshalb arbeitslose Ungelernte und Berufsrückkehrer. Wer nicht unmittelbar von Arbeitslosigkeit bedroht ist, hat kaum noch Anspruch auf eine Umschulung. „Kommen Sie wieder, wenn es soweit ist“, heißt es dann.

Doch so lange sollte man besser nicht warten. „Irgend etwas geht – fast – immer“, macht Udo Herbst von der Beratungsstelle Weiterbildung Hamburg Mut. Wer kein Geld vom Arbeitsamt bekommt und sich dennoch beruflich verändern will, kann unter Umständen andere Geldquellen anzapfen wie zum Beispiel Bafög oder Stipendien, ermäßigte VHS-Kurse belegen oder ein Praktikum machen. „Viele Menschen wissen das nur nicht. Und wenn man erst einmal das Selbstvertrauen verloren hat, ist es schwierig, aus diesem Teufelskreis wieder rauszukommen.“

Herbst und seine acht KollegInnen von der Weiterbildung Hamburg haben das Ausmaß der Misere täglich vor Augen. Mehr als 20.000 Menschen pro Jahr suchen hier Rat – entweder in persönlichen Gesprächen oder per Telefon. Oft genug geht es nicht nur um Tips und Tricks bei der Planung einer Weiterbildungsmaßnahme, sondern um die gemeinsame Erarbeitung einer neuen Lebensperspektive nach dem Motto „Was kann ich? Was will ich?“ und dann erst „Was ist machbar?“.

Ohne Spaß an der Sache, betont der Erwachsenenbildungs-Experte Peter Faulstich von der Uni Hamburg, stellt sich auch kein Erfolg ein. Allein das Zertifikat reicht nicht aus, um einen Arbeitsplatz zu bekommen – der künftige Arbeitgeber muß auch vom Interesse und Engagement des Bewerbers überzeugt sein.

In Zeiten leerer Kassen steht das persönliche Interesse bei den marktorientierten Beratungen des Arbeitsamtes jedoch hintenan. Gelernt werden soll das, was in der Region gerade benötigt wird. „Dieser Schuß geht leicht nach hinten los“, warnt Werner Kinzinger von der Aktion Bildungsinformation. „Wer sich heute zum Bankkaufmann umschulen läßt, kann morgen ganz schnell arbeitslos sein.“ Und auch die Mitarbeiter der Hamburger Beratungsstelle halten wenig vom Diktat der Zweckmäßigkeit: „Viele interessante Berufe wie zum Beispiel Erzieherin oder Ergotherapeutin wurden aus Kostengründen gestrichen, statt dessen wird gerne Altenpflege angeboten.“ Ob dieser Beruf jedoch immer eine echte Zukunftsperspektive bietet, bezweifeln die Berater: „Das sind in der Regel 610-Mark-Jobs. Davon kann schließlich niemand leben.“

Und auch Zufriedenheit und Selbstwertgefühl dürften unter diesen Umständen zu wünschen übrig lassen. Spätestens daran läßt sich erkennen, daß die Worte Humboldts wenig mit der Bonner Weiterbildungspolitik zu tun haben. Sabine Tillert

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