: Unionsvertrag bleibt symbolischer Akt
Rußlands Präsident feuert außenpolitischen Berater. Der hatte den Unionsvertrag mit Weißrußland erarbeitet. Kremlchef besteht auf Fortgang demokratischer Reformen ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath
Der Unionsvertrag zwischen Rußland und Weißrußland, den die Präsidenten der beiden Länder am Mittwoch unterzeichnet hatten, forderte im Kreml bereits erste personelle Konsequenzen. Am Wochenende entließ Präsident Jelzin den langjährigen außenpolitischen Berater Dimitri Rurikow. Rurikow zählte zu den einflußreichsten Politikern im Umkreis des Kremlchefs. Er zeichnete verantwortlich für Abrüstungsfragen und Verhandlungen mit der Nato. Zuletzt leitete er die russische Delegation, die die Integrationsbemühungen mit Weißrußland in Vertragsform gießen sollte.
Hier liegt der Hase im Pfeffer. Wenige Stunden vor der geplanten Zeremonie reiste der Sicherheitsratschef Iwan Rybkin nach Minsk, um den Vertragstext um entscheidende Passagen zu kürzen. Hätte Jelzin das Abkommen in der von Rurikow ausgearbeiteten Fassung abgesegnet, wäre der Integrationsprozeß vornehmlich im Interesse des Nachbarn verlaufen. Alle Einzelheiten sind bis dato nicht bekannt. Nur soviel: Bei ungünstiger politischer Wetterlage hätte der weißrussische autoritäre Präsident großen Einfluß auf die russische Innenpolitik nehmen können. Demgegenüber verpflichtete sich Minsk kaum, zu den russischen Reformbemühungen aufzuschließen. Außerdem enthielt der Text nicht mehr Jelzins Vorgabe, die Fusion beider Länder durch ein Referendum absegnen zu lassen.
Kein Wunder, daß besonders die Kommunisten in der russischen Duma den Vertrag als Indiz feierten, man lebe nun wieder in einer „Union“. Ihnen eröffnete sich die Möglichkeit, mit dem zurückgebliebenen Nachbarn doch noch die Mehrheitsverhältnisse im Lande zu ihren Gunsten zu verändern.
In einer Radioansprache versuchte Jelzin, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Obwohl auch er die UdSSR-Nostalgie in Teilen der Bevölkerung nutzen möchte, will er nicht das Erreichte im fragwürdigen Interesse einer Union gefährden. „Ich will nicht verheimlichen, daß einige Politiker es für möglich halten, das Volk mit einem Fait accompli zu konfrontieren“, sagte Jelzin. „Die Russen sollen die Möglichkeit erhalten, bei so einer wichtigen Entscheidung selbst zu sagen, was sie wollen.“
Rußland sei weiter in seiner Entwicklung, formulierte Jelzin vorsichtig. „Wir werden alles dransetzen, um demokratische Rechte in einer Union zu gewährleisten.“ Unterdessen prügelten Polizisten in Minsk Gegner der Vereinigung zusammen. Die Führung in Minsk verwies nach Jelzins Ansprache bereits auf ein divergierendes Reformverständnis. Somit bleibt der Vertrag, was er von russischer Seite immer sein sollte: ein symbolischer Akt.
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