piwik no script img

Die Quadratur der Kreissäge heißt Gütesiegel

Baumstämme aus Raubbau verwandeln sich in naturnahe Ware: Die Holzindustrie versucht, Tropenholz hoffähig zu machen. Pygmäen, aber auch Elefanten oder Gorillas in Westafrikas Urwäldern sind weiterhin bedroht  ■ Von Werner Paczian

Seine erste Begegnung mit einem Goldschwanzaffen hatte sich Jonathan Pearce lebendiger vorgestellt. Auf dem Markt im westafrikanischen Libreville, Hauptstadt von Gabun, wurde das Tier zum Verzehr angeboten – als Kadaver.

Die Meerkatzenart lebt nur im Regenwald von Zentralgabun und war erst 1984 entdeckt worden. Dreizehn Jahre später muß sich die seltene Kreatur womöglich wieder von der Menschheit verabschieden. Die Firma Isoroy, Tochter des deutschen Holzmultis Glunz AG aus Hamm, plant 1997 massive Einschläge in der Dschungelheimat des Goldschwanzaffen, dem „Lopé-Reservat“. Isoroy ist einer der größten europäischen Sperrholzproduzenten.

Für die Ausbeutung der Wälder beabsichtigte Isoroy, in dem Schutzgebiet „300 Kilometer Straßen zu bauen“, so Jonathan Pearce, der für den Welttierschutzbund die Region inspiziert hat. Der gegenwärtige Vertrag laufe über siebzehn Jahre. „Es ist unmöglich, vorauszusehen, wer danach Lizenzen zur Waldnutzung erhält.“ Daher bestehe für Isoroy der Anreiz, „soviel wie möglich einzuschlagen, bevor der Pachtvertrag ausläuft.“

Der Clou: Ausgerechnet die Glunz-Tochter Isoroy hat kürzlich für zwei Holzkonzessionen neben dem Lopé-Reservat ein Ökosiegel erhalten. Damit wurde erstmals ein Zertifikat für angeblich umweltfreundliches Forstmanagement im afrikanischen Regenwald vergeben. Quasi über Nacht verwandelten sich die Isoroy-Produkte, bisher oft als Raubbauholz verpönt, in naturverträgliche Ware. Eine Handvoll Gutachter, so schien es, hatte vollbracht, was sonst ganze Regierungen nicht schaffen: die Rettung der Regenwälder.

Zertifiziertes Holz ist der neue, weltweite Hit. Prinz Charles, Weltbank und WWF freuen sich gemeinsam darüber, daß Verbraucher wieder guten Gewissens Holz einkaufen können – wenn bloß ein Zertifikat draufpappt. Qualitätsgarant für solche Ökoplatten will der Forest Stewardship Council (FSC) sein. Diesem „Forstverwaltungsrat“ gehören rund 160 Vertreter von Holz- und Forstwirtschaft sowie von Menschenrechts- und Umweltgruppen an. Erklärtes Ziel des 1993 gegründeten FSC ist die Durchsetzung weltweit anerkannter Prinzipien einer sozial, ökologisch und ökonomisch verträglichen Waldbewirtschaftung.

Das ehrenwerte Vorhaben scheiterte schon bei der ersten Bewährungsprobe. Brav bescheinigte die beim FSC akkreditierte Schweizer Prüffirma SGS-Qualifor (Société Générale de Surveillance), Isoroy nutze den Wald entsprechend den FSC-Standards. Die müssen demnach windelweich sein. Die Kontrolleure entdeckten in den Einschlagsgebieten nämlich mehr Miß- als Ökomanagement. Unter anderem kritisiert Qualifor, adäquate Daten über Wachstum und Struktur des Waldes existierten nicht.

Bei der Baumart Okoume, die 90 Prozent der Ernte ausmacht, wurde ein „offensichtliches Regenerationsloch“ entdeckt. Zudem degradiere der Einschlag direkt ein Fünftel der Waldfläche. Und die Isoroy-Arbeiter verstünden die eigene Umwelt-Charter bisher nicht vollständig. Mangelndes Ökowissen ist den Gutachtern selbst nicht ganz fremd. Ihr Bericht mahnt, Isoroy müsse künftig stärker auf die Ausgrenzung von ökologisch empfindlichen Gebieten achten. Dabei ist der gesamte gabunische Regenwald ein hypersensibler Lebensraum für eine einzigartige Vielfalt an Pflanzen und Tieren. Nirgendwo sonst auf dem afrikanischen Kontinent streifen so viele Horden Elefanten, Gorillas und Schimpansen durch noch unberührte Wälder, in denen über tausend Baumarten wachsen.

Erkannt immerhin hat Qualifor, daß die Gebiete der Isoroy-Konzessionen „besonders artenreich sind“. Ein Wildlife-Management existiert trotzdem nicht. Obwohl der Bericht einen „Jagddruck auf Primaten als Folge des leichteren Waldzugangs“ bemängelt. Schon 1993 hatte eine Studie der nationalen Forstschule Gabuns ergeben, daß in einer Isoroy-Konzession in zwei Monaten rund 4.500 Kilo Buschfleisch konsumiert wurden, darunter fünfunddreißig Schimpansen und drei Gorillas.

Straßen und Flugplätze begleiten das Zertifikat

Heute rattern Lkws mit Aufklebern durch den Dschungel, die fordern: „Schützt den Goldschwanzaffen!“. Wer illegal jagt, fliegt, beteuert der Holzkonzern inzwischen. Jonathan Pearce, im Frühjahr 96 vor Ort, hat Zweifel, ob mögliche Wilderer gefaßt werden. „Keiner der Kontrollpunkte schien in gutem Zustand zu sein. Der Haupteingang zur Konzession stand weit offen, und ein Lastwagen fuhr ohne jede Kontrolle durch.“ Pearce resümiert: „Der Bau von zwei Ortschaften, eine Start- und Landebahn und 110 Kilometer Hauptstraße, die Anwesenheit von 1.200 Menschen sowie der Holzeinschlag selbst haben das Wesen eines unberührten Waldes dramatisch verändert.“

SGS-Qualifor plädierte trotzdem dafür, Isoroy das FSC-Zertifikat zu geben, offenbar nicht ganz freiwillig. Im Oktober 96 beklagte sich ein SGS-Mann beim Hamburger Verein „Rettet den Regenwald“: „Wir werden ständig mit Beschwerden traktiert.“ Isoroy wolle SGS gerichtlich belangen, wegen unprofessioneller Durchführung der Prüfung.

Das westfälische Stammhaus in Hamm reagiert äußerst wortkarg auf Fragen zu seiner Regenwaldnutzung in Gabun. Eines gab Glunz preis: Das Unternehmen richte sich „streng nach den geltenden Gesetzen und Bestimmungen“. Das Bekenntnis ist so umwerfend wie die Beteuerung eines Juweliers, er verkaufe garantiert keine Hehlerware.

Der Fall Isoroy zeigt das Dilemma des FSC. Sein Versuch, Standards für eine nachhaltige Forstwirtschaft durchzusetzen, gleicht einer Quadratur der Kreissäge. Jeder Biologiestudent weiß, daß besonders in Afrika die für den Handel lukrativen Bäume nicht rasch genug nachwachsen. Deswegen müssen stets neue Primärwälder ausgebeutet werden. Selbst die industriefreundliche Weltbank gesteht in einem Strategiepapier für Afrika ein, daß „der Holzhandel der Hauptgrund für die Öffnung sonst unzugänglicher Wälder“ und „der Nutzen aus dem Holzhandel nicht dauerhaft“ sei.

Daran wird der FSC nichts ändern. Seine Vorgaben sind sehr allgemein formuliert und werden unterschiedlich interpretiert. So kann nach Lesart der Konzerne prinzipiell auch Holz aus Primärwäldern zertifiziert werden, für Regenwaldschützer der Knackpunkt. Waldbewohner wie die Pygmäen im Kongobecken haben keine ausreichende Lobby, sich am Zertifizierungsprozeß zu beteiligen. Die vollständigen Prüfberichte bleiben meist geheim, Umweltgruppen können höchstens stichprobenartige Kontrollen durchführen. Große Holzkonzerne können sich zudem einzelne Konzessionen zertifizieren lassen und zusätzlich Raubbauholz vom Weltmarkt kaufen. Besonders problematisch: Der FSC zertifiziert nicht selbst, sondern bevollmächtigt auch kommerzielle Unternehmen. Die Prüfer werden von den Holzfirmen bezahlt, die sie kontrollieren sollen. Derzeit wichtigster beim FSC akkreditierter Zertifizierer ist die SGS. Deren Tochter SGS-Forestry wird häufig direkt von Holzfirmen gebucht, um etwa Waldinventuren durchzuführen, und ist damit wirtschaftlich von der Branche abhängig.

Plötzlich gilt der Boykott als „unsinnig“

Trotz solcher Ungereimtheiten muß der FSC weiter zertifizieren. Politiker und Holzhändler klammern sich an den Verband, um den weitverbreiteten Tropenholzverzicht auszuhebeln. Eine Zertifizierung sei für Entwicklungsländer „auf jeden Fall besser als der unsinnige generelle Boykott von Tropenholz“, teilt das Bonner Forstministerium mit. Die Kollegen von der Entwicklungshilfe ergänzen, leicht hölzern: „Die vom FSC aufgestellten Standards werden als anspruchsvolles, auch den ökologischen und soziokulturellen Kontext der Waldbewirtschaftung berücksichtigendes Bewertungsschema angesehen.“

Die Firmen Danzer (Reutlingen), Feldmeyer (Bremen), Wonnemann (Rheda-Wiedenbrück) und Glunz verkündeten im Mai 1995 unisono, sie wollten ihre Betriebe zertifizieren lassen, sobald ein international anerkanntes Nachweissystem vorhanden sei. Die vier betreiben als einzige deutsche Unternehmen eigene Konzessionen in den Tropen. Auch die EU baut auf den FSC, dem sie finanziell beisteht. Im April 1996 setzte die Europäische Kommission mit Unterstützung des WWF Belgien in Kamerun eine Arbeitsgruppe ein. Sie soll in dem afrikanischen Land nationale Standards für die Zertifizierung entwickeln. Irritiert monierten Regenwaldschützer, daß ausgerechnet Brüsseler Bürokraten mit entscheiden, was für im Wald lebende Pygmäen gut sein soll.

Explizit unter Hinweis auf den FSC entschärfte Anfang Dezemer der Hamburger Senat seinen bisherigen Tropenholzverzicht. Künftig dürfen die Urwaldriesen in öffentlichen Bauten verwendet werden, wenn sie „aus nachhaltiger Forstwirtschaft nach einem anerkannten Zertifizierungssystem“ stammen. Ein solches sei derzeit mit dem FSC im Aufbau.

Holzmultis wie Glunz sind dringend auf das Ökolabel angewiesen, auch wenn es dem Regenwald nichts nützt. Im November erst mußte Glunz-Sprecher Wolfgang Wurtscheid Gerüchte, der Konzern stehe vor dem Konkurs, als Nonsens dementieren. Monate vorher hatten die Aktionäre für eine turbulente Hauptversammlung gesorgt.

„Alle Pfeifen auswechseln“, empörte sich ein Zwischenrufer. Gemeint waren die Brüder Olaf und Martin Glunz aus der Konzernspitze. Die Aktionärsmehrheit warf ihnen vor, 750 Millionen Mark Kapital seit 1990 durch Aktienkursverfall vernichtet zu haben. Zudem habe eine „maßlose Expansionswut“ wie der Kauf von Isoroy die Schulden der AG auf 1,5 Milliarden Mark getrieben.

Die Industrie will nur Urwälder abholzen

Deren steter Versuch, afrikanischen Hölzern einen grünen Anstrich zu verpassen, wurde 1995 aus berufenem Munde zu Makulatur. Auf einer Pressekonferenz in Paris erklärte Isoroy-Direktor Alain Audebert, seine Firma akzeptiere keine Konzessionen in Sekundärwäldern, weil deren Baumqualität zu gering sei. Dies führt das Argument der gesamten Branche ad absurdum, es finde bereits eine nachhaltige Bewirtschaftung statt. Gäbe es die tatsächlich, müßten einmal genutzte Wälder den gleichen Wert besitzen wie bisher unberührte.

Kaum hatte Isoroy sein Zertifikat, brauste international ein Proteststurm von Umweltgruppen los. Ob die Bäume in den zwei zertifizierten Konzessionen langfristig nachwachsen könnten, sei völlig ungeklärt. Ein Managementplan, Voraussetzung für jede nachhaltige Forstwirtschaft, werde erst jetzt erarbeitet.

Richtig auf die Palme bringt Regenwaldschützer, daß Isoroy jetzt mit Qualifor-Zustimmung im Lopé-Reservat holzen will. Die Konzession liegt im letzten zusammenhängenden Primärwald des Schutzgebiets. Der Eingriff ist vermutlich illegal, wenngleich von der Regierung gedeckt. Tom Hammond vom WWF Gabun bestätigt: Die gesamte Flora und Fauna in Reservaten stehe laut Gesetz unter Totalschutz. Die Forstpolitik führe allerdings dazu, „daß es tatsächlich in Gabun keinen geschützten Wald gibt.“ „Qualifor muß abtreten und soll die ausgestellten Zertifikate gleich mitnehmen“, sagt Reinhard Behrend von „Rettet den Regenwald“. „Ein Konzern, der ein einzigartiges Regenwaldgebiet ausbeuten will, darf kein Ökosiegel erhalten.“

Glunz ist das umstrittene Zertifikat offenbar selbst nicht mehr geheuer. Mitte Dezember teilte der Firmensprecher mit, „derzeit laufen Vorbereitungen“, die Isoroy-Aktivitäten „nach den Kriterien des FSC zertifizieren zu lassen. Eine Zertifizierung ist noch nicht erfolgt.“ Zwei Tage später bestätigte der FSC, die Bescheinigung sei seit dem 31. Oktober 1996 gültig. Im Januar war das Chaos endgültig perfekt: Der FSC fror das Glunz-Gütesiegel ein und will den Fall erneut prüfen lassen. Glunz ist damit Deutschlands erster Holzkonzern, der ein Zertifikat besitzt, ohne das Label nutzen zu dürfen.

Der Verein Deutscher Holzeinfuhrhäuser veranstaltet am 10. April um 16 Uhr im Interconti in Hamburg eine Podiumsdiskussion. Bitte unter 040/4146020 anmelden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen