: Kein Platz für Rotkäppchen
Ostprodukte kommen nicht in den Westen. Die Produzenten von Spreewaldgurken und Möwe-Nudeln lehnen eine Osthandelskette jedoch ab ■ Von Gunnar Leue
Genauso hatte sich das die Agrarmarketinggesellschaft Sachsen-Anhalt (AGM) gedacht: Burger Knäckebrot, Börderkäse und Rotkäppchensekt machen den Wessis Appetit auf mehr Lebensmittel aus Ostdeutschland. Rund eine Million Ostpakete wurden seit Dezember nach Westen geschickt und brachten die dortigen Konsumenten auf den Geschmack für Eßbares aus dem Osten. Pikiert war man nur in Hamburg. Nicht allein daß ein dortiges Gericht das Freßpaket eines Magdeburger Rechtsanwalts als Bestechungsware zurücksandte. Zudem mokierte sich Klaus von Dohnanyi, sonst oberster Trommler für Ostprodukte, über die unschicklich vertriebene Ostware.
Die Ablehnung des Hanseaten könnte man symbolisch werten: Wenn es um Marktanteile geht, verstehen die Westler keinen Spaß. Auch der dortige Handel reagierte nicht auf den Zuspruch der Menschen zur Aktion. Brandenburgs Landwirtschaftsminister Zimmermann drohte ihnen auf der Grünen Woche in Berlin schon mal mit Boykott: Bisher wenig kooperative Handelsketten würden bei der Belieferung mit brandenburgischen Produkten eben Pech haben, wenn die doch eines Tages landes- und europaweit etabliert seien. Das wird noch dauern. Denn noch haben ostdeutsche Lebensmittel im Westen nicht einmal ein Prozent Marktanteil. Der thüringische SPD-Chef Richard Dewes hat deshalb eine Handelskette nur für Ostprodukte vorgeschlagen.
Praktiker allerdings halten das für wenig sinnvoll. Hasso Mansfeld von der Agrarmarketinggesellschaft nennt es sogar „Schwachsinn“. Dadurch verschärfe sich der Wettbewerb, das Gründungskapital fehle, außerdem sei die Zahl der rund 1.200 verbliebenen ostdeutschen Konsumgüterhersteller zu klein. „Der Trend geht zum Wochenendeinkauf, bei dem man alles kriegt.“ Ostprodukte können die Bedürfnisse nicht decken. Mansfeld zieht deswegen das Fazit: „Weiter versuchen, in die Westketten reinzukommen.“ Allein auf die Treue zur Ostware zu setzen sei ohnehin kurzfristig gedacht.
Tatsächlich sind Ostprodukt- Ketten längst probiert worden – und gescheitert. Wie die Berlin- Brandenburg Märkte oder ein Großhandel mit Ostprodukten, den ein Westdeutscher in Berlin bis 1995 betrieb. Übrig blieb einzig der „Ostmarkt in Marzahn“ (O.S.M.A.), der einer Ostberliner Agrargenossenschaft gehört und mit einem zweiten Laden bei Berlin nicht mal zehn Millionen Mark Jahresumsatz erzielt. Doch auch dort gibt es nicht nur Ostware, weil der Kunde „unbedingt alles vorfinden muß“, sagt O.S.M.A.-Chef Wolfgang Demann. Der Supermarkt führt viele Osterzeugnisse, die es tatsächlich in keine andere Kette schafften, wie das Zitza- Haarwasser aus Zeitz. Auch Demann fragt sich, wer denn eine Osthandelskette finanzieren sollte.
Wie lange das mit Zitza noch funktioniert, ist fraglich, wie man am Beispiel der Falkenthal Spirituosen GmbH sieht. Die einzige DDR-Whiskybude macht zum Jahresende dicht, weil sie nur regional Abnehmer findet.
So schlimm ergeht es dem Ostberliner Schnapsbrennerkonkurrenten Schilkin nicht. Er hält sich im leichten Plus, weil man durch permanentes Klinkenputzen in die westdeutschen Marktketten Metro, Rewe und Tengelmann gelangte. Allerdings nie mit dem gesamten Sortiment.
Schilkin hat das Problem der meisten Ostfirmen: Das zum Markenartikler gehörende Geld für die Werbung fehlt, so daß man sich als Billiganbieter verkaufen muß. Schilkin-Geschäftsführer Peter Mier betrachtet eine Osthandelskette mit Skepsis: „Der Markt müßte danach verlangen. Das ist aber nicht so.“
Wenig begeistert von der Idee ist man auch bei dem mecklenburgischen Teigwarenhersteller Möwe in Waren. Die heute zu einem holländischen Konzern gehörende Firma sitzt in allen großen Handelsketten. Möwe läßt ihre Produkte über die Hamburger Marketing und Service Company vertreiben. Weil das auch andere Produzenten in Ostdeutschland machen, werden Synergieeffekte erzielt. Jörg Elvers, bei Möwe für das Marketing zuständig, hält nichts von einer expliziten Vermarktung als Ostprodukt: „Das hat was von Mitleid und hilft der Marke nur kurzfristig. Entscheidend ist die Qualität, dann kann man sie nicht mehr länger ignorieren.“
Aber selbst Ostbetriebe mit westdeutschem Mutterhaus kommen kaum in den Westen. So wie die Spreewaldkonserve in Golßen. Der Betrieb wurde 1991 von der niederrheinischen Obstkonservenfabrik Linkenheil gekauft. Der Vorteil für die Golßener war, daß sie damit in ein bestehendes Vertriebsnetz gelangten. „Das machte die Sache etwas einfacher“, sagt Vertriebsleiterin Karin Seidel. Inzwischen sei man im Osten Marktführer für Gurken, aber das helfe ihnen im Westen nicht in die Läden. „Das läuft nur über Verdrängung“, sagt Seidel.
Helfen können da nur Hartnäckigkeit sowie stetige Kundennachfrage. „In den vergangenen zwei Jahren haben wir die Erfahrung gemacht, daß ständiges Nachfragen der Verbraucher manche Listung ermöglicht“, erzählt Karin Seidel.
„Mittlerweile haben wir im Westen den Durchbruch geschafft. Wenn eine Kette geknackt wurde, kommen die anderen hinterher.“ Von einer eigenen Ostkonsumgütermesse, wie sie bei der jüngsten Kanzlerrunde angeregt wurde, hält die Fachfrau dagegen wenig: „Der Handel hat doch schon genug Messen zur Auswahl.“
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