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Nur der König Sihanouk dreht noch Filme

■ Wie man das thailändische Grüßen aus importierten Videos lernt und mit einem Wanderkino die Bauern beglückt: Bericht vom Filmfestival in Phnom Penh

Ieu Pannakar, ein schmaler alter Herr, hat eine bemerkenswerte Karriere hinter sich: Er gehört zur ersten Generation der kambodschanischen Cineasten, studierte in den fünfziger Jahren in Frankreich, arbeitete in den Sechzigern beim staatlichen Fernsehen Kambodschas und war in der Regierung für Filmpolitik zuständig. Als der französische Regisseur Michel Camus 1962 nach Kambodscha kam, um dort „L'oiseau du paradis“ zu drehen und der junge König Norodom Sihanouk zugleich seine Liebe zum Filmen entdeckte, begann die kurze Blüte des kambodschanischen Films.

Bis 1958 hatte es nur einen einzigen kambodschanischen Dokumentarfilm in 16 Millimeter gegeben, in den Kinos des Landes liefen nur importierte Filme. Doch die einheimische Produktion endete abrupt und brutal, als die Roten Khmer 1975 in Phnom Penh einzogen: Filmemacher und Schauspieler standen weit vorn auf der Liste der „dekadenten Elemente“, die auszurotten waren. Kinos, Studios, Archive wurden zerstört. Ieu Pannakar, der an den königlichen Filmen mitgearbeitet hatte, überlebte wie durch ein Wunder: „Ich habe mich im Fotolabor versteckt und bin nicht verraten worden.“

Als die Roten Khmer vertrieben waren, konnte Ieu Pannakar bald wieder an seine Arbeit zurückkehren. Bis 1996 war er im Kulturministerium für den Film zuständig. Jetzt ist er Präsident des Ersten Südostasiatische Filmfestivals, das Anfang April in Phnom Penh stattfand.

Die Lage ist düster: Seit der Öffnung Kambodschas Anfang der neunziger Jahre ist das Land von thailändischen, chinesischen und Hongkonger Videos und Billigserien überschwemmt worden. Ieu Pannakar ist besorgt: „Die Leute gucken nur noch diese ausländischen Videos, sie grüßen sich schon nach thailändischer Sitte. Und unsere Filmemacher wissen nicht mehr, was eine traditionelle kambodschanische Hochzeit ist – sie kopieren einfach thailändische Vorbilder, und dann ist alles falsch.“

So ist es für den alten Kinoliebhaber Pannakar besonders bitter, das sich unter den zwölf Bewerbern um die Goldene und die Silberne Apsara (Himmelsfee) – sozusagen der kambodschanische Oscar – beim Wettbewerb kein einziger aus seinem eigenen Land findet, sondern nur aus Indonesien, Laos, Malaysia, den Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam. „Der Grund ist ganz einfach: es gibt keinen“, sagen die Organisatoren der Veranstaltung. Rithy Panh, der einzige kambodschanische Regisseur, der auch international Beachtung gefunden hat, hat seine neue Produktion noch nicht beendet. Panhs „Reismenschen“ waren 1994 in Cannes gezeigt worden.

Das Erste Südostasiatische Filmfestival verdankt seine Geburt vor allem dem Engagement des französischen Kulturinstituts in Phnom Penh, das hier, wie der Regisseur Vijay Singh spöttisch sagt, „an der letzten Front für die Frankophonie kämpft“. Die Franzosen haben, gemeinsam mit südostasiatischen Botschaften und privaten Sponsoren, auch für die Finanzierung gesorgt.

Französische Filmmanager sind für den größten Teil der Organisation verantwortlich, sie haben auch die Jury und die Wettbewerbsfilme ausgewählt, eine Fotoausstellung vorbereitet und gleichzeitig eine Alain-Delon-Retrospektive nach Kambodscha geholt. Delon, dessen Porträt allenthalben von der Zigarettenwerbung für die gleichnamige Marke herabschmollt, ist allerdings trotz Ankündigung nicht persönlich in Phnom Penh aufgetaucht.

Bei diesem Filmfestival sind kambodschanische Produktionen nur im Rahmenprogramm zu sehen. Drei kurze Sozialreportagen, ein paar jüngere Werke des unerschrocken drehenden Königs Sihanouk und einiges aus den sechziger und siebziger Jahren, das vor den Roten Khmer gerettet wurde. Sie laufen in dieser Woche im einzigen großen Kino von Phnom Penh, das von einst 32 Sälen übrig blieb, dem Viminteap am Boulevard Monivong im Zentrum der Stadt.

Neben dem strahlendweißen und gerade neu eröffneten Casablanca-Spielkasino, wo junge Croupiers auf Kunden warten und mit Handy bewaffnete Dunkelmänner sich auf den Polstern räkeln, ist das Viminteap Theatre ein trauriger und düsterer Ort: Seine Stühle sind zerschlissen, die Wände schmutzig und die Ventilatoren so müde, daß sie weder die tropische Hitze noch die Mücken verscheuchen können. Im Foyer annoncieren alte Poster Kungfu- Reißer aus Hongkong – „demnächst auch hier“.

Es macht auch nichts, daß der Saal halbleer ist und die meisten Zuschauer Kinder sind, die von draußen hereingelaufen kommen – wie die kleine Erdnußverkäuferin, die ihr Tablett vom Kopf nimmt, sich an den Gang setzt, eine halbe Stunde ausruht und zuschaut, um dann wieder zur Arbeit auf die Straße zu gehen.

Ly Bun Yim, der 1977 vor den Roten Khmer nach Frankreich fliehen konnte und später in den USA eine Videoproduktionsfirma gründete, ist 1993 nach Kambodscha zurückgekehrt. Er konnte nur drei seiner Spielfilme retten, die von Liebe und Magie erzählen. Über zehn waren zerstört oder verloren.

Heute zieht er mit seinem mobilen Projektor und den drei Filmen von Dorf zu Dorf und zeigt sie unter freiem Himmel: „Die Leute lieben diese Geschichten“, sagt er, „manchmal kommen 3.000 an einem Abend.“

Gemeinsam mit seinem 56jährigen Kollegen Yvon Hem, der – wie der Filmfest-Präsident Pannakar – zu den wenigen Filmemachern gehört, die in Kambodscha blieben und die Pol-Pot-Jahre überstanden, hat er im vergangenen Jahr eine Kambodschanische Vereinigung für die Entwicklung von Film und Video gegründet, der nun neben dem alteingesessenen Cineasten-Verband besteht. Im Hause Yvon Hems am Rande von Phnom Penh unterrichten sie eine Handvoll Schauspielschüler und Filminteressierte. Eine staatliche Schauspielschule oder Film akademie gibt es nicht – auch kein Filmarchiv.

Für Hem, der 1962 für Michel Camus die Kameras schleppte, begann der zweite Abschnitt seiner Filmkarriere 1987: Damals durfte er als erster Kambodschaner wieder einen Film drehen. Die Erlaubnis erhielt er vom damaligen – von Vietnam eingesetzten – Regierungschef Hun Sen persönlich. Die britische Hilfsorganisation half beim Kauf von Filmrollen und Material aus dem Ausland, „sonst hätte ich nicht drehen können, in Kambodscha gab es nichts“, erinnert er sich. Der Held seines Filmes „Schatten der Dunkelheit“ kann, trotz häufiger Folterungen, den sadistischen Soldaten der Roten Khmer immer wieder entgehen, flieht nach Vietnam und schließt sich dem Widerstand an. Kampf, Folter, Tod, Vergewaltigung und Verrat durchziehen nicht nur den Film Yvon Hems, sondern auch die jüngeren Produkte von König Sihanouk und anderen Regisseuren der Kriegsgeneration.

Untrennbar sind die Filme mit der allgegenwärtigen Gewalt im Leben der Kambodschaner verbunden: In „Bauern in Not“ erzählt der junge Held, daß seine Eltern mit Handgranaten ermordet wurden, in „Schatten der Dunkelheit“ greift der Held zu Handgranaten, um sich zu verteidigen. Da haben die Zuschauer noch die Schreckensbilder vom Ostersonntag vor Augen, als vor dem Parlamentsgebäude in Phnom Penh Handgranaten in eine friedliche Kundgebung geworfen wurden, 15 Menschen starben und viele grauenhaft verstümmelt bleiben.

So unterschiedlich sind die zwölf Wettbewerbsfilme aus sieben Ländern, daß die Jurypräsidentin schon im voraus angekündigt hat, bei der Preisverleihung am vergangenen Wochenende würde die technische Qualität nicht so hoch bewertet werden. Deshalb kann der laotische Beitrag „Boa Deng – Roter Lotus“ auch einen Sonderpreis der Jury erhalten: ein liebevoll gemachter, schon verkratzter Schwarzweißfilm des Dokumentarfilmers Som-Ok Southipong aus dem Jahre 1988, der vom Leben auf dem Dorf in der Zeit des Partisanenkrieges berichtet. Boa Deng, die junge Heldin, muß sich gegen die sexuellen Übergriffe ihres Stiefvaters wehren und soll auch noch mit einem reichen Tölpel aus dem Dorf verheiratet werden, obwohl sie den jungen guten Bauern liebt. Nach vieler Schießerei gibt's ein Happy-End, und zum Schluß ist laotisches Neujahr, alle übergießen sich mit Wasser, wie es Brauch ist. Und die Zuschauer lächeln, als sie das Kino verlassen.

Den ersten Preis, die Goldene Apsara, bekam der 36jährigen Indonesier Garin Nugroho für „...und der Mond tanzt“.

Es ist eine Geschichte in wunderschönen ruhigen Bildern über die Entfremdung in der indonesischen Gesellschaft: Ein junger Mann und eine junge Frau flüchten sich in das Haus eines Meisters der klassischen javanischen Künste, um zwischen Batikmalerei, Musikkomposition und Gesang ihre Seelenruhe wiederzufinden. Prinz Chatri Chalermyukhon, einer der bekanntesten thailändischen Filmemacher, erhielt die Silberne Apsara für „Sia Dai 1 – Wie schade! 1“ über das Leben fünf junger Frauen in der Härte der thailändischen Großstadt. Ein richtig schlechter Film erhielt zu Recht keinen Preis: „Amok“ des Malaysiers Adman Salleh. Darin gibt eine rotblonde Ausländerin Englischunterricht in Malaysia, verführt einen harmlosen malaysischen Bauernbuben, setzt ihm Hörner auf und verstößt auch sonst gegen alle lokalen Sitten: Der Bub dreht durch und ersticht nicht nur sie, sondern eine ganze ausländische batikgewandete Touristengemeinde im Ferienort unter Palmen. Vielleicht könnte man ihn zur Abschreckung in Seminaren über „sanften Tourismus“ einsetzen.

Jutta Lietsch

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