: Maler des schwarzen Quadrats
■ Filmtip: Jutta Herchers Film-Essay über Kasimir Malewitsch
Die Kamera verweilt lange auf dem Lenin-Mausoleum, bevor in alten Aufnahmen ein anderes Begräbnis ins Bild kommt: der mit einem Quadrat geschmückte Sarg des Malers Kasimir Malewitsch (1878–1935). So führt Jutta Hercher an das Thema ihres Film-Essays Das befreite Nichts heran, an eben den suprematistischen Künstler und ersten Maler absoluter Monochromie Kasimir Malewitsch. Lenin, in Steinquadern auf eine vorübergehende Ewigkeit aufgebahrt, erfährt zur Zeit genauso eine Veränderung der Einschätzung wie der seit 1935 für Jahrzehnte aus der öffentlichen sowjetischen Erinnerung getilgte Künstler.
Für Generationen westlicher Künstler wurde dessen Schwarzes Quadrat von 1914/1915 eine nie gesehene, legendäre Ikone der modernen Kunst. Noch 1980 wurde eine in Hamburg geplante Ausstellung von über 50 Malewitsch-Bildern zurückgepfiffen: Zu kontrovers erschien der Mann, der jahrelang die revolutionäre Kunst mitgestaltet hatte, doch seit 1927 bunte Bilder des russischen Bauernlebens malte. Bis heute ist die Kontroverse um dieses Spätwerk ungeklärt. Während die aktuelle Biennale in Venedig dabei die Rückkehr von der Abstraktion zum Körper feiert, kann in solchem Wandel ebensogut nur eine Erfüllung der stalinistischen Forderung nach Realismus gesehen werden. Denn Malewitschs Versuch, seine Kunstvisionen mit dem neuen Staat in Einklang zu bringen, blieb vergeblich. Selbst der Regisseur Sergej Eisenstein verhöhnte 1920 den Suprematismus als die „letzten Grimassen einer ästhetischen Linken“.
Seine späte Malerei datiert Malewitsch vor 1914 zurück und signiert sie mit einem kleinen schwarzen Quadrat, um sie nicht als Endpunkt seiner Entwicklung erscheinen zu lassen. Ein müder Protest eines 1930 für drei Monate insGefängnis geworfenen Mannes, der 1913 mit der Gruppe der Kubo-Futuristen in vorrevolutionären, übermächtigen Zukunftsvisionen nicht weniger als den „Sieg über die Sonne“ als thetralisch-musikalisch-malerisches Gesamtkunstwerk gestaltet.
Jutta Herchers vom Hamburger Filmbüro mitfinanzierter Film Das befreite Nichts enthält sich des detaillierten kunstgeschichtlichen Streits. Ihre Annäherung gilt dem Maler des schwarzen Quadrats und dessen theoretischer Sprengkraft als „Keim aller Möglichkeiten“. Mit Interviews, historischen Bildern, aktuellen Eindrücken und auf alt getrimmten Aufnahmen zeigt sie Facetten zu einem komplexen Bild einer in Bewegung befindlichen Geschichte im Spiegel eines Künstlers. Hajo Schiff
Heute, 21.15 Uhr, Metropolis, in Anwesenheit der Regisseurin
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