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Enthaltsamkeit ohne Intimität

Beim 0:0 von St. Pauli gegen 1860 München blieben 26 Männer abstinent  ■ Von Marco Carini

Die einzigen Treffer gab es bereits vorm Anpfiff: Als Löwen-Coach und Neu-Nichtraucher Werner Lorant am Samstag ins Wilhelm-Koch-Stadion einmarschierte, hagelten Hunderte von Zigaretten auf ihn nieder. Der Übungsleiter, der den Umstieg vom Tabak-Inhalieren zum Nikotin-Kaugummi-Aussaugen werbewirksam vermarktet, blieb standhaft und absolvierte seine Rand-Tätigkeit ohne einen einzigen Lungen-Zug.

Als wollten sie dem abstinenten Trainer nacheifern, übten sich auch die 25 eingesetzten Akteure von St. Pauli und 1860 München in strikter Enthaltsamkeit. 20.725 ZuschauerInnen im ausverkauften Millerntor vermißten jeden Zug zum Tor und waren sich darin einig, daß die dargebotene Ballmißhandlung sowenig ein Ersatz für ein echtes Fußballspiel ist wie für einen echten Raucher ein Nikotin-Kaugummi. Die Binsenweisheit, daß nur gewinnen kann, wer sich zumindest bemüht ins Aluminium-Gehäuse zu treffen, blieb unberücksichtigt, so daß das Ergebnis am Ende des Spiels exakt dasselbe war wie zu Beginn: 0:0.

Die dürren Höhepunkte der Partie, die nie zur Paadie wurde, sind so auch schnell erzählt: In der ersten Halbzeit erspielten sich die Kiez-Kicker eine gewisse Feldüberlegenheit, doch lediglich Carsten Pröpper durfte einmal in aussichtsreicher Position mit dem linken Fuß auf den Münchener Kasten zu zielen versuchen. Da Linksschüsse des einzigen Paulianers, dem nachgesagt werden darf, daß zumindest sein rechter Fuß eine intimere Beziehung zum Spielgerät besitzt, etwa so erfolgversprechend daherkommen wie der Versuch, mit weichgekochten Spaghetti Mikado zu spielen, verschweigen wir hier gnädig die weitere Flugbahn des Balles.

Als in der zweiten Halbzeit die Kräfte der Gastgeber nachließen, erspielten sich die Bayern drei Situationen, die man wohlwollend als Chancen bezeichnen kann. Doch nacheinander scheiterten Borimirov an Keeper Thomforde, Pele am Pfosten und Bodden an seiner mäßigen Schußtechnik. Auf der anderen Seite durfte Löwen-Torhüter Berg wenigstens einmal beweisen, daß er nicht umsonst nach Hamburg gereist war: Einen Kopfball von Trulsen entschärfte er mit einem Reflex.

„Das Spiel hatte keinen Sieger verdient“, urteilte nach Ende der Nullnummer ein dank des Punktgewinns „zufriedener“Werner Lorant, schob sich ein weiteres Kaugummi zwischen die Zähne und schwieg fortan. „Unzufrieden“über die verpaßte Chance, kurzfristig einmal einen Abstiegsplatz zu verlassen, zeigte sich dagegen Millerntor-Übungsleiter Uli Maslo. Nahm sich am Löwen ein Beispiel und verstummte ebenfalls.

St. Pauli: Thomforde – Dammann – Stanislawski, Bochtler – Pedersen, Hanke – Sobotzik, Trulsen, Pröpper – Scharping (56. Driller), Emerson (78. Scherz)

1860 München: Berg – Trares – Walker, Greilich – Jeremies, Schwabl – Pele, Bender, Nowak (78. Bodden), Stevic (29. Heldt) – Cerny (65. Borimirov)

SR: Koop (Boizenburg)

Zuschauer: 20.725 (ausverkauft)

Gelbe Karten: Scharping, Bochtler / Schwabl

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