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Bezahlen ihre Drinks nicht

■ Al Pacino und Johnny Depp in speckigen Anzügen als einfache Soldaten der Mafia, die es nicht so recht zum "Don" bringen - "Donnie Brasco" von Mike Newell

Die Geschichte von „Donnie Brasco“ beruht auf einem wahren Fall aus den 70er Jahren. Die Namen stimmen, auch die Orte. Das Drehbuch von Paul Attanasio („Quiz Show“) entstand nach dem 1989 erschienenen Buch von Pistone. Der führte sechs Jahre lang ein Doppelleben, bis aufgrund der von ihm gesammelten Beweise über hundert Mafiosi verurteilt werden konnten. Es war der bis dahin größte Schlag gegen das organisierte Verbrechen in den USA. Pistone bekam einen Orden, 500 Dollar Prämie, ein abwesendes Schulterklopfen und einen Platz im staatlichen Zeugenschutzprogramm. Bis heute ist eine halbe Million Dollar von der Mafia auf seinen Kopf ausgesetzt.

Pistone/Brasco (Johnny Depp) verschafft sich Eintritt in die „famiglia“ durch den alternden Auftragskiller Lefty (Al Pacino), der für ihn bürgt und so ihrer beider Schicksal auf Leben und Tod miteinander verbindet. Lefty hat zwar schon 26 Leute im Auftrag der ehrenwerten Gesellschaft beseitigt, befindet sich aber immer noch auf der untersten Stufe der Erfolgsleiter und grummelt vor sich hin, während er sich im speckigen Trainingsanzug Tierfilme im TV reinzieht. Brasco wird sein Schüler, lernt, daß er sich seinen Schnurrbart abzurasieren und welche Klamotten man zu tragen hat, daß Mafiosi ihre Drinks nicht bezahlen und ihr Bargeld nicht im Portemonnaie, sondern zur Rolle gewickelt bei sich tragen. Das ist mitunter sogar komisch, aber auf eine obskure, wenig freudvolle Weise. Pistone erklärt seinen FBI-Kollegen auch, was „Forget about it“ alles bedeuten kann, je nachdem, wie man es ausspricht. „Und manchmal heißt es auch einfach: Vergiß es!“

An Weihnachten schenkt man sich gegenseitig Briefumschläge mit 100-Dollar-Noten. Brasco stemmt Gewichte in seinem frustrierend leeren Apartment, während kalt und blau der Fernseher flimmert. Seine Frau ruft er von der Telefonzelle aus an. Sie meint: „Ich bin zu müde.“ Er antwortet: „Leg den Hörer auf das Kissen, ich möchte dich atmen hören.“ Bei den wenigen Besuchen in der Vorstadt warten Streit und Versöhnung und drei Töchter, die nicht mehr mit ihrem Vater reden.

Die amerikanische Presse hat „Donnie Brasco“ vor allem als einen Film über Freundschaft, Solidarität und Verrat gesehen. Und gelobt, daß erstmals nicht wie in „Der Pate“ oder „Good Fellas“ der Glamour, nicht die Bosse im Mittelpunkt eines großen Mafia-Films stehen, sondern die einfachen Soldaten, die sich mit dem Knacken von Parkuhren über Wasser halten und im wahrsten Sinne des Wortes nicht einmal eine Lebensversicherung haben. Das Verdienst gebühre Mike Newell („Vier Hochzeiten und ein Todesfall“), dem man als Briten einen differenzierteren Blick auf amerikanische Mythen zutraut. Immer wieder lungern Brasco, Lefty und die Kollegen vor dem Hauptquartier herum, wo schließlich Limousinen vorfahren, dicke Männer mit dicken Zigarren im Mundwinkel aussteigen und von Bodyguards Mäntel um die Schultern gehängt bekommen. In solchen Momenten ist die Inszenierung mit ihren gedeckten Braun- und Grautönen, mit den Männern, deren Atem in der kalten Luft dampft, die die Köpfe zwischen die Schultern stecken und aussehen, als warteten sie auf einen Job als Tagelöhner, nicht weit entfernt vom Klassenkampffilm deiner Wahl. Oder vom letzten Gewerkschaftskongreßbericht mit anschließender Demonstration.

Sowohl Brasco als auch Lefty akzeptieren schließlich den Status als kleine Rädchen im Getriebe. Brasco steckt widerspruchslos resignierend seinen Orden ein, und Lefty geht in seinen Tod wie ein Indianer, ohne Hektik regelt er die letzten Dinge, die noch zu regeln sind, atmet kurz durch und zieht die Tür hinter sich zu. Beide verlieren sie ihr Leben, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise. Beide akzeptieren es. Der einzige, der sich auflehnt, ist ihr Boß, innerhalb der Organisation selbst ein kleines Licht. Michael Madsen spielt das auf ein neues mit seinem schmierigen Grinsen als charmante, aber jederzeit zur Explosion bereite Bombe.

Überhaupt ist „Donnie Brasco“ ein Schauspielerfilm. Wobei Depp zum ersten Mal in seiner Karriere einen Erwachsenen spielt, und das so eindringlich, als wolle er hochoffiziell vermelden: Ich bin nicht mehr der mit dem Dackelblick. Depp ist jetzt 33, also genauso alt wie Pacino war, als er mit dem Undercover-Cop „Serpico“ seinen Ruhm begründete. Pacinos Part ist vor allem dann hübsch anzuschauen, wenn man ihn mit seiner Rolle in der „Paten“-Trilogie vergleicht. Als Michael Corleone versuchte er auszubrechen und wurde zum Ein- und Aufstieg gezwungen. Als Lefty wird ihm der sehnlich ersehnte Aufstieg verwehrt. Das, was noch in „Der Pate“ Thema war, der Übergang von Familienstrukturen zum Wirtschaftsunternehmen, ist hier längst vollzogen: Lefty ist von vornherein ein Auslaufmodell und rechnet jederzeit mit seiner Exekution. Und im Verlauf des Films wirkt Pacino immer deplazierter, sogar seine Haare scheinen langsam aus dem Leim zu gehen. Aber schlußendlich geht es hier nicht ums Gewinnen, sondern nur ums Überleben. Auch als Gangster kommt man nicht einfach so davon, das Leben ist Arbeit, wie für jeden von uns auch. Die das Geschehen umgebenden 70er, das Plastik der Disco-Ära, die Kunstfaseranzüge, der billige Glamour, die Musik von Neil Diamond, Alan Parsons und Blondie wirken da nur noch wie ein zusätzlicher zynischer Kommentar.

Als alles überstanden ist, tippt die Schreibmaschine: „Operation Don Brasco is terminated.“ „It's over, honey, come home“, sagt Frau Pistone zu Donnie Brasco. Thomas Winkler

„Donnie Brasco“. Regie: Mike Newell, Buch: Paul Attanasio. Mit Al Pacino, Johnny Depp, Michael Madsen, Bruno Kirby, James Russo, Anne Heche. USA 1997, 128 Min.

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