: Krautschlacht in Wümme
■ Feiner Kunstrock ohne Maß und Stilzwang: Faust kommen
Selig die Zeiten, als Rocker mit Stolz das Wort „Kunst“in den Mund genommen haben und damit ebenso ein Gitarrensolo von Jimmy Page oder Frank Zappa wie die Musik von Can oder Faust bezeichneten. Späte Sechziger, frühe Siebziger, in Deutschland entwickelt sich eine Welt zwischen Musikakademie und Übungsräumen, für die irgendein englischer Spaßvogel den Begriff „Krautrock“prägte. Die Musiker selbst sind beseelt von Experimentiergeist und Kunstwollen und erkennen in den Schemen des Rhythm'n'Blues die Basis für eine Befreiung vom teutonischen Ernst.
Die Hamburger Band Faust ist trotz Verwendung des deutschen Labels schlechthin als Name mehr als jede andere Band in die Tiefen des Kraut-Dschungels vorgedrungen, wo alles kann und nichts muß. Auf den Platten ihrer kurzen Urphase, die zwischen 1971 und '74 erschienen, wechseln sich Songfragmente, Alltagsgeräusche, drogengesteuerte Grooves, Klanggemälde und Rockismen zwanglos ab und schaffen eine endlose Hippie-Feierlichkeit mit Assoziationsspielchen. Gemeinsam mit Bands wie Can, Amon Düül oder Tangerin Dream schuf Faust ein Etikett, das insbesondere in England seine Haltbarkeit bis heute bewahrt hat.
Chris Cutler und andere ewige Frickler des großen Herzens haben Faust in den Neunzigern dann wieder an den Musikkosmos angedockt. Mit Faust und Faust Tapes brachten Recommended Records die alten Orgien aus dem Fauststudio in Wümme auf CD raus, letztere ohne Songmarkierungen, so daß man die 45minütige, theatralische Regellosigkeit nur von Beginn bis zum Ende hören kann.
Und schließlich beehrte die Band nach über zwanzigjähriger Abstinenz die Welt mit neuen Klangerzeugnissen. Erst Rien und dann You Know FaUSt zeigen die ausgewachsenen Kunstrocker so, als seien sie die jugendlichen Erben ihrer eigenen Musik: groovend, klangverliebt, verspielt und hundert Prozent unmodisch. Die Inspiration ist alles, der Stil nichts. Und auch Zeit ist Hippie-Zeit: „Na sowas“hat die Seventies-Länge von 14,31 Minuten. Also, Patchouli drauf und Fellweste vom Dachboden geholt: Faust kommen.
Till Briegleb
So, 20. April, 21 Uhr, Markthalle
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