piwik no script img

Weggehen - Wiederkommen

■ Von zu Hause weg. Ein Beitrag zum Schülerschreibwettbewerb der "Thüringischen Landeszeitung"

WHUM! Autsch! Was um alles in...?! „Guten Morgen! Wir müssen raus! ÄHM, übrigens, hat's weh getan?“ Das freundlich grinsende Gesicht meines Freundes verschaffte mir absolut schlechte Laune. Und dann diese dämliche Frage! NATÜRLICH HAT DAS WEH GETAN, DU IDIOT!!!

Also, ich weiß ja nicht, wie der darauf reagiert, wenn er am frühen Morgen den Wecker vor den Kopf geknallt kriegt. Mir HAT es weh getan. Ich bleib' im Bett. Leckt mich! Und gleich kommt bestimmt wieder die allmorgendliche Frage: „Machst du mir schnell Kaffee?“

„Schatz? Machst du mir schnell Kaffee?“ Also, mal ehrlich. Ist DAS nicht ein Arsch? Manchmal könnte ich mit dem Messer auf ihn losgehen und ihn abmurksen. Aber ich gehe natürlich und mache. Als er nun endlich mal das Bad freigibt, ist sein Kaffee kalt, und im Badezimmer sind die bestialischsten Gerüche oder besser gesagt: Gestänke. Der Blick in den Spiegel... Lassen wir das Thema. „Schatz! Mein Kaffee ist kalt!“

Auf dem Weg zur Schule denke ich darüber nach, warum meine Beine beim Laufen nicht zusammenknicken. Was für ein Scheiß! Mal ehrlich. Ich hab 'nen Knall. Erste Stunde: Englisch. Scheiße! Ich hab' die Hausaufgaben nicht. Egal. Nicht so wichtig. „Wieder mal 'nen Tag verschenkt“, dröhnt mir in den Ohren. Wie wahr! Nichts trifft so zu wie dieser Satz. Ich frag' mich, was ich hier überhaupt mache. Ich seh' aus wie ein wandelndes Einmannzelt, hab' ein absolutes Vakuum im Kopf, dann habe ich, wie jedesmal, mein Frühstück vergessen, und dann soll ich auch noch NACHDENKEN?! Fragen beantworten, wovon die Lehrer eh die Antwort schon wissen!? Ich denk' sowieso, daß die uns irgendwie verarschen.

Der größte Witz sind ja die Hausaufgaben. Wenn ich um vier heimkomme, hab' ich erst mal die Schnauze voll. Sieben Stunden stillsitzen, Mund halten und fein intelligente Antworten geben (natürlich nur, wenn man gefragt wurde), während einem der Ast pfeift, ist ziemlich nervtötend, und dann auch noch so was. Und jeder Lehrer denkt, daß natürlich seine Aufgaben die wichtigsten sind. Die sollen mal lieber aufpassen, daß sie mir nicht in der Nacht im Park begegnen. Gott sei Dank, es gibt zwei Ausnahmen. Die Namen sag' ich mal lieber nicht, sonst bilden die sich auch noch was drauf ein. Und werden eingebildet, so wie ich! HAHAHA!!!

Also, dann lass' ich jetzt lieber mal die Witze. Aufs Gymnasium gehe ich sowieso nur, weil ich absolut keine Ahnung hatte, was ich nach der 10. Klasse machen wollte, und weil meine Eltern darauf „bedacht sind, ihrer Tochter eine angemessene und zukunftsorientierte Schulbildung zukommen zu lassen“. So sehr viel „zukunftsorientiert“, wie die sich das denken, ist das gar nicht. Fast nur noch theoretischer Mist ohne einen Bezug zum späteren Berufsleben. Da wir gerade bei Eltern sind... Ich hab' für meine nicht allzuviel übrig. Das heißt, mein Vati ist ja ganz nett, aber meine Mutter...!!! Gott, ist das eine Schnepfe! Ich kann sie nicht ab. Die ist auch der Grund, warum ich weg von zu Hause bin. Diese Frau ist der reinste Witz. Und nur, weil die mich auf die Welt gebracht hat, darf die sich meine Mutter nennen. Das erste ist, daß sie absolut dämliche Gedankengänge hat, was „Familienleben“ ist. Für sie bedeutet das, daß der Kaffeetisch gedeckt ist, wenn sie von der Arbeit kommt, und uns dann („uns“ sind ich und meine zwei Geschwister) auf unser Zimmer schickt, damit sie in Ruhe diese beknackten Seifenopern, wie da wären „Reich und Schön“, „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ oder „Dallas“, gucken kann. Danach geht sie zu ihrem Freund, was wir Vati nicht sagen dürfen, wir würden schon wissen, was sie meint, und das war's. Das Familienleben ist echt klasse. Ganz toll. Ich find's zum Kotzen. Und dann ihr spiritueller Muttertick. Wollte mich diese Frau doch tatsächlich zum Psychiater schicken, weil „meine Gedankenströme“, welche in ihr spirituelles Bewußtsein dringen, meine „negativen Gefühle und mein verwirrter und labiler Charakter auf höchste Selbstmordgefahr deuten“. Es könne ja nicht normal sein, daß ich so bin, wie ich halt bin. Also, wenn ich jemals an Selbstmord denken würde, dann ganz bestimmt, weil ich diese „Mutter“ nicht mehr ertragen könnte. Es gibt natürlich schlimmere Familiensituationen, Vergewaltigung durch den eigenen Vater zum Beispiel, aber ehrlich gesagt reicht mir meine nicht allzu doofe Familie auch schon als Grund, meiner heimatlichen Heimstätte leb wohl zu sagen.

Ich hab' jetzt, eigentlich schon vor zwei Jahren, so 'ne Art neue Familie gefunden. Ich vermisse zwar irgendwie meinen Vater und meinen Bruder, die ich ja Gott sei Dank oft sehe (teils weil ich dauernd wegen irgendwelcher Unterschriften für die Schule hinpilgern muß), aber meine „Schwiegereltern“ sind ganz in Ordnung. Mein Freund eigentlich auch, aber manchmal frag' ich mich ernsthaft, was ich an diesem Typ finde. Wehe, es geht nicht nach seinem Willen. Da zieht der Mensch ein Gesicht wie ein Sechsjähriger, dem man den Lolly weggenommen hat, statt wie 18 benimmt er sich wie ein quengelndes Kleinkind. Und genauso würde ich ihm „wie einem Kleinkind“ den Hintern versohlen oder ihm mal so richtig eine reinhauen. Aber trotzdem ist er derjenige, der mir geholfen hat, meine Haut zu retten. Na gut, er ist auch derjenige, den ich liebe. (Trotzdem ist er manchmal ein Arsch!) Isabella Mill, 17 Jahre

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen