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Baselitz auf Backpapier

■ Die „Zeitströmungen“der Niedersächsischen Sparkassenstiftung im Neuen Museum Weserburg

Was ist naheliegender als in einem Sammlermuseum für zeitgenössische Kunst zeitgenössische Kunst aus einer Sammlung auszustellen? Nichts, dachten sich die Verantwortlichen im Neuen Museum Weserburg, und präsentieren ab heute „Zeitströmungen“aus der Sammlung der Niedersächsischen Sparkassenstiftung.

Anlaß der Ausstellung ist das zehnjährige Bestehen der Stiftung, die heute zu den wichtigsten Kulturfördererinnen Niedersachsens gehört und sich neben dem Kunstsammeln auch ein langfristiges Engagement in Musik, Literatur und Denkmalpflege auf die Fahnen geschrieben hat. Über den Ankauf von Gegenwartskunst für die Sammlung entscheidet ein Kuratorium, dem neben Carl Haenlein (Kestner-Gesellschaft Hannover), Heinz Liesbrock (Westfälischer Kunstverein Münster), und dem Kritiker Ludwig Zerull auch der Leiter des Neuen Museum Weserburg, Thomas Deecke, angehört. Kein Wunder also, daß die Ausstellung – nach Stationen im Sprengel-Museum Hannover und in der Kunsthalle Rostock – jetzt den Weg nach Bremen gefunden hat.

Zu sehen sind in der Weserburg rund einhundert Exponate, die sich als repräsentative Übersicht über die vier Schwerpunkte der Sammlung verstehen. Dazu zählen Papierarbeiten der „Malerfürsten“Baselitz, Richter, Lüpertz und Polke, exemplarische Positionen der letzten 30 Jahre ost- (!) und westdeutscher Kunst, post-minimalistische Plastiken und die abstrakte Farbmalerei a la Graubner. So jedenfalls charakterisiert Ausstellungskonzeptor Heinz Liesbrock die Gewichtung der Sammlung. Und so kommt sie auch rüber. Wobei die Präsenz der DDR-Künstler Gerhard Altenbourg, Carlfriedrich Claus und Hermann Glöckner im Erdgeschoß zu den lobenswerten Eigenheiten einer Präsentation zählt, die auch sonst mit Überraschungen nicht geizt.

So bekommt man neben der Entdeckungsreise durch die DDR-Kunst auch Baselitz auf Backpapier zu sehen. Es sind frühe, unspektakuläre Zeichnungen von kleinen Helden des Alltags, die tatsächlich nicht auf dem Kopf stehen. Auch die anderen Giganten Lüpertz und Polke zeigen sich hier mit Gouachen als überraschende Meister der kleinen Form, und Richter wartet im zweiten Stock mit kleinformatigen Aquarellen auf.

A propos zweiter Stock: Erst hier – und in der Folge im vierten Stock – wird die Besonderheit dieser Ausstellung deutlich. Denn während die Werke im Erdgeschoß noch ganz konventionell gehängt sind, mischen sie sich in den beiden anderen Stockwerken mitten zwischen die Bestände der Dauerausstellung. Ein Konzept, durch das sich anregende Korrespondenzen ergeben. So paßt sich etwa die schwarz-weiße „Fibonacci-Serie“von Lienhard von Monkiewitsch so unauffällig zwischen Umbergs schwarze Rechtecke, Ueckers Nagelrelief und Mechthild Frischs „Malstück“ein, daß man seine Zugehörigkeit zur „Zeitströmugen“-Ausstellung nur über das daneben plazierte Schild identifizieren kann.

Dies ist ein Versteckspiel, von dem das Ausstellungskonzept in hohem Maße lebt. Denn als BetrachterIn ist man dazu verdammt, die Exponate der Sonderausstellung anhand der Schildchen immer wieder neu zwischen den Dauerbeständen zu suchen und damit auch ihnen notgedrungen eine erneute Aufmerksamkeit zu widmen.

Diese Ausstellung ist zwar nicht spektakulär, lohnt aber wegen der DDR-Positionen und vor allem wegen der Skulpturen von Thomas Lehnerer, Thomas Virnich und Hermann Pitz einen Besuch.

Moritz Wecker

„Zeitströmungen“im Neuen Museum Weserburg, bis 1.6. – Eröffnung heute, 18.30 Uhr. Katalog 35 Mark

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