■ Schießen Sie nicht auf die Socken:
: Ein Englischkurs in zwei Abteilungen

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Ich gehöre zu der Minderheit, die nichts dagegen hat, wenn Männer weiße Socken tragen. Schön ist es nicht, aber wenn ein Mann meint, das sehe schick aus, oder, das kann ein anderer Grund sein, er hat nicht genug Geld, um anderswo als bei Woolworth oder Aldi drei Paar für fünf Mark zu kaufen, meinetwegen. Sooo wichtig ist es nun auch wieder nicht.

Der Mann, der im Schwimmbad den Garderobenschrank gleich neben meinem belegt hatte, trug keine weißen Socken, sondern mausgraue. In Höhe der Knöchel war ein Wort eingewebt, ein Wort aus der englischen Sprache: THINK. Und hinter dem THINK stand ein Ausrufungszeichen. Diese Beobachtung jagte mich in eine Schlucht voller Fragen. Denkt die Herstellerfirma, Männer würden mit den Füßen denken? Ist es eine freie Übersetzung des „Ich denke, also bin ich“ Descartscher Provenienz? Oder vielleicht eine Paraphrase des Imperativs, der einst über dem Eingang zum Tempel von Delphi stand: „Erkenne dich selbst“? Die Wahrheit ist aber wahrscheinlich wieder einmal viel prosaischer.

Stellen wir uns den Mann mit den THINK-Socken als einen Geschäftsführer vor oder Abteilungsleiter oder wenigstens als jemanden, der ab und zu Verhandlungen, mindestens Gespräche führen muß. Vielleicht ist er Therapeut. Die sitzen mit ihren Patienten, wenn es sich um Gruppentherapie handelt, einander zugewandt in einer Runde. Manche Männer legen dabei manchmal ein Bein aufs andere Knie, angewinkelt, und dann blicken sie auf den Knöchel des so in die nahezu Waagerechte gebrachten Beins. Das Tragen von THINK-Socken erleichtert dann die Konzentration. Man wirft zufällig und wie zerstreut ein Auge auf den bestrumpften Fuß und sieht das Wort THINK. Und alles ist wieder im Lot.

Wie die Geschichte ausginge, wenn ein deutsches DENKE! in die Faser gewirkt wäre, weiß ich nicht. Doch die Farben der Socken nenne ich ab heute Gedankengrau. Denn so ist alle Theorie.

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„Originalität ist nur Mangel an Bildung“, schoß es mir durch den Kopf, als ich vor dem Kölsch-Faß stand und das dünne Bier in mein Stangenglas wie lahm gepinkelt floß. „I always sit in the kitchen at parties“ hieß die Titelzeile eines Songs, der es während meiner Jugendzeit bis in die Top ten der Charts geschafft hatte. Hinter mir staute sich die Masse der Partygäste vor dem Tisch, der sich unter den Speze- und Leckereien bog. Ich hatte gegessen, bevor ich die Party geentert hatte, und konnte mich ganz aufs Trinken konzentrieren.

Von welcher Art diese Party war, erkannte ich an dem Pappschild im Flur. Die Wohnung maß bestimmt und garantiert mindestens 150 Quadratmeter, aber die 2 1/2 Quadratmeter vor der Klotür galten als, wie die Worte auf dem Schild gelesen sein wollten, „Smoking Area“. Nein, das gastgebende Ehepaar stammte weder aus Großbritannien noch aus den USA oder Australien. Vielleicht hatten sie eine seltsame Vorstellung von peinlichem Verhalten und wollten sich durch die Wahl der englischen Sprache von ihren rigiden Anweisungen distanzieren. Ich weiß es nicht.

Namensschilder in Sternchenform wurden auch verteilt. Goldlackschrift drauf. Und im ausgemöbelten Wohnzimmer hing ein zweites Schild: „Dancing of course but please without shoes.“ Der Gastgeber war gleich in Wollsocken und Krawatte, die Dame des Hauses trug Ballettschuhe.

Ich habe nicht getanzt, aber das tue ich sonst auch nicht. Dietrich zur Nedden