: Selters kurz vor Mitternacht
■ Dem VfB Stuttgart bleibt nach dem Pokalfinaleinzug keine Zeit zum Feiern
Stuttgart (taz) – Normalerweise werden so Helden geboren. Genauso: Hamburgs Hasan Salihamidzic läuft auf den Stuttgarter Torsteher Franz Wohlfahrt zu – alleine auf dem Weg zum Ausgleich, wohl in die Verlängerung, vielleicht gar nach Berlin ins DFB-Pokal-Finale? Die Prämissen sind geklärt: Mit einem Schuß ins Rampenlicht, mit einer Parade ebenso. Franz Wohlfahrt behält die Nerven, sichert das 2:1 der Seinigen. Immerhin im Halbfinale des DFB- Pokals gegen den Hamburger Sportverein. Noch dazu in Minute 88. Franz Wohlfahrt – ein Österreicher als Heroe im Stuttgarter Laiberl? Mitnichten.
Der 32jährige Wohlfahrt wollte nicht so recht als Held taugen. „Es war schon entscheidend“, gab der Österreicher wenigstens zu. Und stellte nüchtern fest: „Dafür steh' ich ja im Kasten.“ Zumal einem in dieser Situation „gar nichts durch den Kopf“ gehe, sagt Wohlfahrt, schon gar nicht ein Gedanke ans Heldentum, das sei „auch gut so“. Vorher hatte er sich mit Händen und Füßen gegen die passabel agierenden Hamburger gewehrt, nun sträubte er sich mit wienerischem Mundwerk gegen die ihm zugedachte Hauptrolle. Jetzt könnte man Wohlfahrt freilich falsche Bescheidenheit vorwerfen. Das aber greift zu kurz bei der Erklärung des Stuttgarter Erfolgs nicht nur im Pokal-Wettbewerb. Die Zurückhaltung und Gefaßtheit hat der Verein für Bewegungsspiele mittlerweile zum Programm auserkoren.
Beispiel gefällig? Nehmen wir den angeblich nettesten Trainer der Liga, Joachim Löw. Der wollte nur wenig erzählen von seiner persönlichen Genugtuung, seinem Erfolgserlebnis. Statt dessen: „Der Verein hat in den letzten Jahren sehr gut gearbeitet.“ Oder: „Wir haben uns sehr gut entwickelt.“ Der Verein, die Mannschaft, wir – Joachim Löw gibt nicht den Zampano, sondern eines von vielen Rädchen in der Stuttgarter Maschine.
Die Rede vom „Wir-Gefühl“ (Löw et al.) klingt zwar seltsam angestaubt und antiquiert, ist aber das Erklärungsmuster des Stuttgarter Höhenflugs. Sagen die Stuttgarter selbst. Sagt beispielsweise Franz Wohlfahrt: „Die Harmonie stimmt bis zum 22. oder 23. Spieler im Kader.“ Verstehen könne er etwa die Zurückhaltung seines Vorgesetzten Löw, der sich als „ein Mitglied des ganzen Teams“ sieht. Und: „Es gibt keinen Menschen auf der Welt, der ohne die Mannschaft Erfolg haben kann.“ Fürwahr. Nach nicht einmal einjährigem Engagement hat Routinier Wohlfahrt das Erfolgsrezept erkannt. Das natürlich auch den Unterschied macht zur vorigen Saison. „Wenn du Leute dabei hast“, sagt Wohlfahrt, „die nicht funktionieren, muß man sie aussortieren.“ Axel Kruse und Franco Foda wurden gegangen, weil sie nicht eine Gruppe, sondern Grüppchen bilden halfen.
Derartige Ränkespiele um persönliche Interessen gehören der Vergangenheit an, meint Stuttgarts Torwächter. Auch weil den Ersatzspielern das Gefühl gegeben werde, daß sie „wichtig sind“. Selbstredend gibt es da noch immer die geometrische Konstellation um den erneut überragenden Balakow sowie Bobic und Elber. Nur hätten auch „andere Positionen gelernt, Verantwortung zu übernehmen“. Wohlfahrts Ausführungen klingen plausibel, weil er sie beidbeinig auf dem Boden der Realität kundtut. „Auf sehr hohem Niveau“ agiere der Bundesliga-Dritte, „noch mehr zu erwarten, wäre nicht realistisch“. Dennoch orientiert sich Wohlfahrt am Maximalen. „Wir dürfen nicht den fatalen Fehler begehen, uns auf das Pokal-Finale zu verlassen.“ Heißt soviel wie: „Wir müssen daran denken, die Meisterschaft zu erreichen.“
Am Sonntag gastiert Bayer Leverkusen, da geht's mindestens um die Berechtigung für die Champions League. Die Konzentration auf das Liga-Unterfangen läßt auch Franz Wohlfahrt kaum mehr Zeit für den Genuß der eben getanen Arbeit. Nein, der Österreicher ist kein Held. Helden hätten in diesem Moment Champagner geordert – Wohlfahrt verlangte kurz vor Mitternacht nur nach Selters. Thilo Knott
Hamburger SV: Golz - Hartmann - Fischer, Wojtala - Schopp (78. Seitz), Homp (58. Cardoso), Kmetsch, Schnoor, Salihamidzic - Ivanauskas, Saganowski (46. Breitenreiter)
Zuschauer: 50.000; Tore: 1:0 Balakow (15.), 1:1 Hartmann (19.), 2:1 Schneider (59.)
gelb-rote Karte: Ivanauskas (86.) wegen wiederholten Foulspiels; rote Karte: Schneider (90.) wegen groben Foulspiels
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