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Generation Terrorist

Die 1.000 Gesichter des Alec Empire: Mal hetzt er Nazis, mal jettet er als Techno-Performer durch die Welt. Mit seiner Band Atari Teenage Riot setzt er von Berlin aus die Welt auf Feuer  ■ Von Thomas Groß und Gerrit Bartels

Der Witz ist, daß du im Grunde nichts dazu machen kannst. Nicht lesen, nicht reden, nicht ficken, nicht abwaschen – nicht einmal tanzen. Das soll aber so sein, vom Konzept her. „Wenn man bestimmte Frequenzen und Arrangements benutzt, die die Leute aggressiv machen“, erklärt Alec Empire das Motto „Riot Sounds Produce Riots“, „dann kann das einen Aufstand hervorrufen. Wenn du das im Freien spielen würdest, gerade in einer Stadt wie New York, würden die Leute in Kämpfe geraten und die Stadt zerstören.“

Gut also, daß Atari Teenage Riot, Alecs Band seit 1991, in der Halle gespielt haben, als sie im Dezember vorigen Jahres in New York auftraten. Man scheint es dort allerdings zu mögen, in Schutt und Asche gelegt zu werden, zumal von verrückten Deutschen. „One of the strangest live acts“, lobte die New York Post. Die Times fand an Atari Teenage Riot, die an diesem Abend im Vorprogramm der Lokalmatadoren Jon Spencer's Blues Explosion auftraten, vor allem die fußbodenerschütternden Rhythmen und den allgemeinen, nur von unversöhnlichen Slogans aufgelockerten Verzerrungsgrad bemerkenswert.

Gurus, Faschos, Cyberwilde

Überhaupt gilt Alec Empire in diesem Teil der USA als „German electronic-music guru“ (Entertainment Weekly), der auf seinem von London aus geführten Label Digital Hardcore junge Cyberwilde mit Haßnamen wie EC8OR (sprich: „Icäitor“ – von „Eradicator“) oder Shizuo um sich geschart hat. Die Plattenläden im East Village und in Soho führen dieses Repertoire gerne plakativ im Schaufenster, was darauf schließen läßt, daß nicht wenige New Yorker Bohemiens sich zu Hause Titel wie „Deutschland (Has Gotta Die)“, „We Are Pissed Off“ oder „SPEX Is A Fat Bitch“ zu Gemüte führen. Und dabei ihre Kicks kriegen.

Alec hat den dortigen Medien aber auch die volle Packung gegeben. In Interviews hat er das Bild eines Deutschlands gezeichnet, in dem technoide Antifaschisten unablässig damit beschäftigt sind, Nazirudel über nächtliche Kreuzungen zu hetzen. Sein Großvater, hat er ins Internet getippt, sei im Konzentrationslager umgekommen, nicht weil er Jude war, sondern als Kämpfer auf seiten der extremen Linken, was ihm, Alec, als Auftrag nachhänge – „My life must be resistance!“ Auch stünden er und seine Mitstreiter von Digital Hardcore bei den Neonazis an alleroberster Stelle auf der schwarzen Liste, deren Lager sich im übrigen bis weit in die bürgerliche Presse hinein erstrecke: „Digital Hardcore is banned from radio, Music-TV and most of the press because of its political message and the proportion of noise in the music.“

The importance of being Alec

In Berlin/Germany, wo das alles spielen soll und wo Alec Empire im bürgerlich-langweiligen Außenbezirk Frohnau aufgewachsen ist (und bis heute seine Homebase hat), hat man von all dem mehrheitlich noch gar nichts mitgekriegt. Kein Schatten trübt die Nacht, aus der der 25jährige, eher unscheinbare Kopf von Atari Teenage Riot tritt – die Neonazis, sollten sie uns beim Gespräch in einem Schöneberger Café beobachten, haben sich verdammt gut getarnt. Unstrittig ist immerhin, daß weder um Alec als Solokünstler noch um Atari Teenage Riot in den hiesigen Medien besonders viel Aufhebens gemacht wird. Vielleicht kennt man die Band noch zu gut von Senatsrockwettbewerben her. Vielleicht ist ihr Konzept, digitalisierten Punk mit linksradikalen Comicparolen zu verschneiden, diesseits des Atlantiks einfach nicht so exotisch. Vielleicht hat ihr mehr als nur latent paranoides Verhältnis zur Presse („The industry pays you! You suck their dicks on and on!!!“) sie tatsächlich Punkte gekostet. Vielleicht wird der Mann aber auch unterschätzt.

Alec Empire zu sein ist jedenfalls ein Full-time-Job mit enormem Diversifizierungsgrad. Mehr als ein Dutzend Platten hat er in den vergangenen sechs Jahren produziert, darunter sieben Solo-CDs. Sie heißen „Hypermodern Jazz 2000.5“, „Destroyer“ oder „Low On Ice“, und keine gleicht der anderen.

Alec ist ein unterhaltsamer, unermüdlicher Manager seiner selbst und seiner Vision. Und rumkommen tut er auch. „Nach dem Aufstehen telefoniere ich so drei, vier Stunden, dann mache ich Schreibarbeiten, faxe, tippe, dann Musik machen, abends vielleicht auftreten oder für mich weiter Musik machen. Morgen zum Beispiel fliege ich für mehrere Tage nach Japan, eine Minitour, danach ein Tag London, wo ja auch das Label seinen Sitz hat, dann wieder hier. Geld kommt genügend rein, so 1.500 Mark für den Abend, aber du mußt das natürlich auf die Tage umlegen, in denen ich bloß produziere. Ich brauch auch kein superteures Auto oder so'n Scheiß.“

Wherever you lay your Heimstudio ...

Das hektische Leben eines elektronischen Nomaden, das Alec mit anderen DJs teilt, hat ihn 1995 nach Island geführt, wo das Album „Low On Ice“ entstanden ist: ruhige, skizzenartige Tracks wie aus dem digitalen Tagebuch. Er will das mit 70 Prozent seiner Persönlichkeit auch in diese Richtung verstanden wissen – die restlichen 30 steuern dagegen. „Man hat mal über mich geschrieben, ich sei ein Tüftler, was überhaupt nicht stimmt. Ich habe zwar ein Studio, aber das sind alles Flight cases, das ist alles transportabel. Am nächsten Tag pack' ich ein und bin wieder woanders, das ist nicht zu vergleichen mit Cristian Vogel oder Oval, die nur zu Hause sitzen und über den neuesten Sound nachdenken.“

Wenn Empire eines nicht sein will, so ist es ein „Student“, der nur rumlabert. Was ihn wiederum nicht davon abgehalten hat, auf Mille Plateaux zu veröffentlichen, dem eher sloganfeindlichen Deleuze-Leser-Label der elektronischen Musik. Im Januar kamen Mille Plateaux mit Mann und Maus auf Tour, eine weitgehend im Sitzen zu erledigende Angelegenheit, bei der Empire als eine Art Stockhausen on acid vor Kunsthochschulenpublikum agierte. Die revolutionärste Tat, die beim Konzert in der Berliner Akademie der Künste registriert wurde, war denn auch das Durchbrechen des Rauchverbots.

Doch wie um den tausend Plateaus noch eins draufzusetzen, hat er sein jüngstes Soloalbum für das Frankfurter Label „Les Etoiles Des Filles Mortes“ genannt. Die nächtlich erleuchtete Spielzeugstadt auf dem Cover sieht aus wie die Stadt, die Godzilla gleich dem Erdboden gleichmachen wird, aber die Stücke selbst sind absolut unbrachial, erinnern teils an kindliche Versuche, auf dem elterlichen Klavier Effekte zu erzielen, teils an sich extrem verweigernde Avantgarde, die zuletzt noch den Beat einem formlosen Blubbern opfert. Spricht hier das Interface? Oder ist bloß die Box kaputt? Du weißt es nicht. Du weißt nicht, ob du gerade die Revolution verpaßt. Du weißt nicht, ob du hier nicht ganz enorm verarscht wirst.

Wie haben Sie's gemacht, Herr Empire?

Das ist eben das Tolle an der neuen elektronischen Musik – an der eigentlichen Basis, dem Sound, ist alles undefiniert. Was gestern noch Avantgarde war, ist in die Hände verspielter Autodidakten gefallen. Koordinatenlos kriecht es aus den Maschinchen – zu sehen ist nur ein Typ, der an Knöpfen dreht. Wie haben Sie's gemacht, Herr Empire? „Da habe ich einen Six-Track-Synthesizer benutzt, ganze Läufe aufgenommen. Dann habe ich teilweise Swing-Akkorde gesampelt und dann getimestretcht. Ich nehme die Sachen auseinander, spiegle die, lasse sie rückwärts laufen. Und dann, haha, sind irgendwann auch noch die Beats weg. ,Hypermodern Jazz‘ dagegen – da ist kein Jazz-Sample drauf. Ich habe einzelne Töne von einer Hammondorgel benutzt, dann verhackstückt. Es ist wie bei Drum'n' Bass: Nimm ein HipHop-Loop, das cuttest du dann auf, Bass- Drum dazu, Snare-Drum. Du schneidest es aus und benutzt es wieder wie eine Drum machine. Du hast den Sound vom Original, aber einen anderen Beat.“

Und auf der Bühne? Wie läßt sich das im Konzert umsetzen?

„Wenn ich alleine auftrete, habe ich mehr diesen dunklen Sound, erzeugt mit der 808, der 303, Effektgeräte, ein kleiner Minisampler, fertig. Das sind ja hauptsächlich Patterns, Sachen, die eingespeichert sind und die man wieder abrufen kann, live arrangieren, indem du sie mutest.“

Die Welt als Wille und offener Kanal

Solche Verfahren sind heute aufgrund der Erschwinglichkeit des Equipments so weit demokratisiert, daß immer mehr Elektronik- User genau wissen, wovon die Rede ist. Der revolutionäre Anspruch darin leitet sich von der alten Avantgarde-Idee her, eine Erweiterung des Klangspektrums sei zugleich eine Erschütterung der Verhältnisse. Doch in einer Welt, in der die Jungs an den Knöpfen immer zeitgleicher immer mehr Ahnung von der Machart ihrer Basteleien haben und im selben Moment immer desillusionierter über deren Wirkung sind, kann ein Vorsprung nur erzielt werden, indem der digitale Untergrund sich selbst mit Bildern versieht – und Pop wird. Alec, das hat er vielen Zimmerelektronikern voraus, ist ein genialer Popstratege. Und mit so einfachen Mitteln! Bei Alec-Empire-Konzerten steht er mit seinem Gerät vor einer Leinwand, auf die verwackelte Sequenzen projiziert werden: Städte, die ihre Glasfassaden nach außen kehren (Entfremdung!), endlose Dschungel aus Leitplanken und Leuchtkörpern (City of Quartz! Hure Babylon!), gefrorene Seen, Husky-Hunde, die über schneeverwehte Ebenen hetzen (Du? Alec? Nazis? Ich selbst?). Es ist wie Agententourismus im Lo-Fi-Edit, es ist wie drei Stunden offener Kanal: Ein Berufener in eigener Sache sendet aus irgendeinem Heimstudio Lebenszeichen. Die Message ist ernst. Alec hat Kontakte zu Hausbesetzern in Paris und London, echte, engagierte Leute – im Gegensatz zum Phänotyp des gemeinen kritiklosen Ravers, den er aus ganzem Herzen haßt. Erzählt er. Doch was sich aus dem unablässigen Fluten seiner Sounds und Bilder abzeichnet, ist weniger eine Person als die Fiktion einer Person: Der DJ, der aus der Kälte kam, immer wachsam, immer auf der Flucht, die Welt durch verspiegelte Sonnenbrillen betrachtend, gerade noch Reykjavik, morgen schon Manhattan oder Osaka.

Alec als Popfigur erinnert an Protagonisten von William-Gibson-Romanen, die in ihrem Kampf gegen die Datenströme des internationalen Kapitals durch Schnittstellen im Gehirn in künstliche elektronische Welten vordringen. Er hat auch viel von Luke Skywalker aus George Lucas' „Star Wars“-Trilogie – für Alec, wie für viele seiner Generation, ein initiales Bildungserlebnis. Mit dem Unterschied, daß sein Widerstand sich zugleich aus vagen, dem Umkreis des „Deutschen“ entnommenen Images speist, Bildern von Bränden, Stadtguerilla und revolutionärer Politik. Alec, wie er sich im Gespräch darstellt, ist immer auch ein wenig Christian Klar, gerade erst der Stammheimer Isolationsfolter entronnen, um „Hetzjagd auf Nazis“ (Songtitel) zu machen. Gleich wird er aus dem Café in Schöneberg wieder in die Nacht hinausgleiten. Unser Gespräch war nur ein kurzer Kontakt mit irgendwelchen Mittelsmännern, denen ein schmaler Datensatz cyberbiographischer Information zur Verfügung gestellt wurde.

Comicstrip und Ufo-Krise

Etwas abgespacet, das Ganze? The empire strikes back, Part X? Die Entlarvung ist nicht die geeignete Begegnungsform mit solchen Welten, eher schon spielt man als Kriegsberichterstatter mit im offenen Adventure-Text. Bis vielleicht doch zu viele Quarks auftreten und der Strip reißt.

Am konsequentesten, aber auch comicnächsten ist das weltweite empiresche Weben aus Paranoia und Gegenparanoia zweifellos im Modell Atari Teenage Riot umgesetzt. „The Future Of War“ heißt der großspurige Titel der gerade erschienenen jüngsten CD. Carl Crack aus (angeblich) Swasiland und die (angeblich) in Damaskus geborene Hanin Elias, mit denen Alec das Ding durchzieht, bewegen sich darin als sexy Popguerilla mit finsteren Blicken durch die Kulisse eines universalen Bürgerkriegs und brüllen zu Sounds, zu denen du deine Eltern umbringen möchtest, Parolen wie „Destroy 2.000 Years Of Culture“, „Redefine The Enemy“ oder „Fuck All!“.

Okay, warum nicht auch das? Christoph Schlingensief hat derzeit ja auch die Ufo-Krise. Allerdings: Eine Entwicklung in formaler wie inhaltlicher Hinsicht findet bei Atari Teenage Riot seit den Anfängen in den frühen Neunzigern nicht statt – und kann es auch gar nicht, weil die Lautstärkeregler bereits bis zum Anschlag aufgedreht sind. Irgendwann beginnt das ganze Gedröhn in sein eigenes Gegenteil zu kippen, erzählt statt von zukünftigen Kriegen von den verpaßten Chancen der zweitjüngsten Ausgabe der verlorenen Generation. Sind es die 89er? Sind es die Kinder vom Bahnhof Frohnau? Das Problem an der Sache ist: Wer sich den vielen Ausrufezeichen und dem gesamten Nachdruck der Slogans für einen Moment entzieht, sieht bloß eine wildgewordene Eurobeat-Combo, die von heroischen Kämpfen träumt wie die Großväter von Stalingrad. Und offenbar nicht mal Spaß dabei hat.

Eins aber hat Alec Empire in seiner womöglich sogar echten Verzweiflung geschafft: Er hat das Bild des deutschen Lärmterroristen zum international genießbaren Popklischee folklorisiert. Das ist die Revolution according to Atari. Erwachsene lachen darüber. But the little Japanese understand.

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