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■ Internet-Wahn etc.Die Schrift auf dem Bildschirm

Der Dresdener Senatspräsident Schreber, dessen Buch „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“ im Jahre 1903 erschien und unter anderem Sigmund Freud als ergiebige Quelle der Anschauung über Paranoia diente, mußte noch eine fein gesponnene Kosmologie aufbieten, um seine Verfolgung durch den Leipziger Nervenarzt Flechsig zu erhärten. Dieser hatte versucht, so behauptete wortgewaltig der nervenkranke Schreber, ihn mit bösen Strahlen systematisch zu vernichten. Er hörte Stimmen allüberall. Böse Stimmen bzw. Schriften kommen für manche heute vorzugsweise aus den Verästelungen des Internet.

Fünf Tage und fünf Nächte lang hackte der 23jährige Michael D. aus Berlin auf seine Computertasten ein, ehe er, so die B.Z., in eine Nervenklinik eingewiesen wurde. Geheimnisvolle Computerpartner hatten ihm Botschaften auf den Bildschirm geschickt: „Du darfst nicht schlafen.“ Am vierten Tag soll er gerufen haben: „Ich bin Jesus, nagelt mich an die Wand.“ Ein klarer Fall von Internet-Wahn und eine interessante Katachrese (Bildbruch) obendrein. Die neuen Kommunikationstechnologien als Kreuz und Heilssymbol des kommenden Jahrtausends.

Schwer zu sagen, wer Michael D. da mit welchen Absichten auf den Schirm geschrieben hat. Psychosekten, Rechtsradikale, Abzocker und normale Verrückte: die neuen Horrorstorys, die aktuelle Version dessen, was einstmals Schundliteratur genannt wurde, gehen online. Eine große Verwirrung ist nicht nur über Michael D. gekommen. Die eiligst aufgebotenen Experten und Psychologen wissen zu berichten, daß sich immer mehr Jugendliche per Internet in beliebige Ersatzidentitäten flüchten und darüber ihrer eigentlichen Bestimmung verlustig gehen. Wenig Neues also auf seiten derer, die sich berufshalber Gedanken darüber machen, was Medien alles anrichten können. Bildungsminister Jürgen Rüttgers ist derweil ganz nah bei Michael D. Seine Initiative „Schulen ans Netz“ sei von den bösen Stimmen diverser Landespolitiker behindert worden. Im Multimediagesetz, das gerade durch den Bundestag ging, geht es offensichtlich nur vordergründig um Daten- und Pornographieschutz. Des Ministers Kosmologie heißt Zukunft. Harry Nutt

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