Barfuß und mit der Sense auf der Schulter

■ 40.000 Brasilianer feiern in der Hauptstadt den langen Marsch der Landlosen

Brasilia (AFP/taz) – Rund 40.000 Brasilianer haben sich am Donnerstag in Brasilia dem Protestzug von rund 2.000 Landlosen angeschlossen, die nach wochenlangen Fußmärschen in der Hauptstadt eingetroffen waren. Die Führer der Landlosen, die eine umfassende Agrarreform fordern, sollten gestern von Präsident Fernando Henrique Cardoso empfangen werden. Der Protestzug wurde von der Bewegung der Landarbeiter ohne Land (MST) organisiert. Die Landlosen werden von der katholischen Kirche und von linksgerichteten Parteien unterstützt. Die Solidaritätsdemonstration war die bisher größte Protestaktion gegen die sozialdemokratische Regierung Cardoso.

Die Landlosen waren barfuß und mit Sensen auf der Schulter aus allen Richtungen in Brasilia eingetroffen. Ein Teil von ihnen war vor zwei Monaten in der südlichen Wirtschaftsmetropole São Paulo gestartet. Andere kamen aus den Bundesstaaten Minas Gerais im Osten und Mato Grosso im Westen des Landes nach Brasilia. Sie fordern die Zuteilung eines Stückchen Landes, das sie eigenständig bewirtschaften können.

Bei ihrer Ankunft auf dem Platz der Ministerien wurden die Landlosen mit einem Hupkonzert empfangen, Mitarbeiter der Ministerien und der Zentralbank ließen Papierschnitzel auf die Menge regnen. Der älteste Teilnehmer, der 89jährige Landlose Luis Beltrane, wurde von Kirchenvertretern und einer Sambatänzerin begrüßt. Die Kundgebung, die Volksfestcharakter hatte, dauerte bis in die Abendstunden an. Zu Zwischenfällen kam es zunächst nicht, auf dem Platz waren 4.000 Polizisten und Soldaten im Einsatz.

Cardoso erneuerte nach Angaben eines Sprechers sein Angebot an die Landlosenbewegung, mit ihnen über eine Agrarreform „zu reden“, aber nicht „zu verhandeln“. Um das nötige Geld zu bekommen, müßten die Steuern erhöht werden. Wenn das Volk dies verlange, würde ein entsprechender Entwurf erarbeitet.

Die Ankunft des Sternmarsches in Brasilia fiel mit dem Jahrestag eines Verbrechens an Landlosen zusammen. Genau vor einem Jahr waren in El Dorado dos Carajas im Amazonasgebiet 19 Landlose von Polizisten getötet worden. Die Verantwortlichen wurden nicht zur Rechenschaft gezogen.

Die Landarbeiterbewegung, die sich auf Che Guevara beruft, wurde 1985 gegründet. In Brasilien gibt es 4,8 Millionen Familien ohne Landbesitz. Zugleich werden aber 182 Millionen Hektar Land, die sich in der Hand von Großgrundbesitzern befinden, nicht genutzt.