: Wenn der Atlantik die Heizung abstellt
Die globale Erwärmung der Erde könnte mit einer eiskalten Überraschung enden ■ Von Manfred Kriener
Die neueste Reise in die Vergangenheit der Erde begann im Juli 1996. Das tonnenschwere Bohrgerät „Istuk“ wurde in Stellung gebracht. Knirschend fraß sich die Maschine in die grönländischen Eismassen. Bis in eine Tiefe von drei Kilometern wird der Bohrer vordringen. Was er dort herausholt, ist die im ewigen Eis konservierte Klimageschichte unseres Planeten. Die zutage beförderten Bohrkerne sollen Aufschluß geben über eine Zeit, die bis zu 125.000 Jahre zurückliegt. Eine Frage treibt die dänischen Forscher dabei besonders um: Wie war das Klima während der letzten Warmzeit?
Von den Erkenntnissen über die Vergangenheit hängt direkt die Zukunft ab. War das Klima während der letzten Warmzeit stabil, dann, so glauben die Wissenschaftler, könnte auch die vom Menschen verursachte Erderwärmung durch den verstärkten Treibhauseffekt noch einige Jahrzehnte ohne dramatische Änderungen verlaufen. War das Klima aber turbulent mit abrupten Temperaturschwankungen, dann stehen dem europäischen Festland möglicherweise genau solche Turbulenzen bevor.
Die im Eis festgefrorenen Klimadaten sollen vor allem ein Phänomen offenlegen: die Aktivitäten des „Conveyer Belts“. Der Conveyer Belt ist das weltumspannende System der Meeresströme, zu dem auch der Golfstrom mit seiner behaglichen Wärme gehört. „Förderband“ heißt die wörtliche Übersetzung – und tatsächlich befördert er riesige atlantische Wassermassen, hundertmal mehr, als der große Amazonas mit sich führt. Stefan Rahmstorf, Klimaforscher in Potsdam und Spezialist für Computersimulationen der Ozeane, nennt den Conveyer Belt „die Heizung Europas“. Ohne ihn, soviel ist sicher, hätten Paris, Brüssel, Köln und Stuttgart einen kanadischen Winter.
Der Conveyer Belt mit seinem Golfstrom – er transportiert warmes Wasser vom Golf von Mexiko bis nach Skandinavien – bewahrt uns vor solch eisiger Starre. Die von ihm in die nordatlantische Klimazone abgegebene Wärme ist nach Rahmstorfs Berechnungen „hundertmal höher als der weltweite Energieverbrauch“. Während der letzten 10.000 Jahre hat dieses Heizungssystem tadellos funktioniert. Doch in der Zeit davor war es mehrfach ausgefallen. Kann sich diese „Panne“ wiederholen? Und könnte die menschengemachte Erderwärmung die Meeresströme aus ihrem Gleichgewicht bringen, unsere Heizung abstellen?
Die beiden großen Antriebskammern des Conveyer Belts liegen hoch im Norden. Östlich von Grönland und in der südlichen Labradorsee befinden sich zwei gigantische Pumpen. Ihre Arbeitsweise vergleicht Rahmstorf im New Scientist mit einem Strudel, der in einer Badewanne entsteht, aus der man den Stöpsel gezogen hat. Konvektion nennen die Forscher das Phänomen der vertikalen Wasserdurchmischung. Genauso, wie das Badewasser in den Sog des Abflusses gerissen wird, sinken die Wassermassen in die Tiefe des Ozeans. Ihre Sinkgeschwindigkeit ist mit 17 Millionen Kubikmetern pro Sekunde allerdings eher langsam. Die eindrucksvolle Zahl entsteht allein durch die ungeheure Menge an bewegtem Wasser.
Von den Tiefen der Grönland- und Labradorsee fließen diese Massen als nordatlantisches Tiefenwasser zwei bis drei Kilometer unter der Meeresoberfläche langsam zurück in die südlichen Ozeane. Dort erwärmen sie sich allmählich und fließen dann wieder Richtung Norden – ein ausgeklügeltes System des Klimaausgleichs.
Pumpen und Meeresströme sind im Prinzip stabile Größen. Hat die Konvektion erst einmal eingesetzt und die vertikale Durchmischung des Wassers in Gang gebracht, erhält sie sich durch den entstandenen Sog von selbst aufrecht. Vor allem im Winter sinken dann die kalten – und damit schwereren – Wassermassen verstärkt in die Tiefe. Zusätzlich unterstützt wird dieser Effekt durch den hohen Salzgehalt des aus südlichen Breiten zuströmenden Wassers. Salziges Wasser ist bekanntlich schwerer und sinkt leichter.
Doch trotz seiner Stabilität ist der Conveyer Belt möglicherweise anfällig. Drei Störfaktoren könnten seinen eingespielten Mechanismus durcheinander bringen:
Die weltweite Erwärmung durch den verstärkten Treibhauseffekt heizt auch das Oberflächenwasser im Nordatlantik auf. Wärmeres Wasser schwimmt oben, sinkt nicht so leicht ab. Der verstärkte Treibhauseffekt wird voraussichtlich auch das Niederschlagsmuster verändern. Mehr Regen und Schnee bringen zusätzlich „leichtes“ Süßwasser in den Atlantik. Drittens schmelzen die Eisberge stärker ab. Große Mengen süßes Schmelzwasser verschieben die Zusammensetzung des schweren, salzigen Ozeanwassers. Direkte Folge aller drei Störmomente: Das Oberflächenwasser wird leichter, der Conveyer Belt verliert an Kraft.
Daß der Conveyer Belt in der Klimageschichte der Erde mehrfach ausgefallen sein muß, gilt als sicher. Zuletzt geschah dies vor 11.000 Jahren während des sogenannten jüngeren Dryas-Ereignisses am Ende der letzten Eiszeit. Die abschmelzenden kontinentalen Eismassen – der gesamte amerikanische Kontinent war ein einziger Eisberg – ließen damals mit ihrem riesigen Süßwasserzufluß das System der Meeresströmungen kollabieren. Ob der Conveyer Belt auch während der letzten Warmzeit vor 125.000 bis 113.000 Jahren ins Wanken geriet, sollen jetzt die grönländischen Eisbohrungen zeigen – mit entsprechenden Hinweisen für die Entwicklung unseres heutigen Klimas.
Rahmstorf und seine Kollegen glauben zwar nicht an einen plötzlichen Kollaps des Conveyer Belts, aber das berühmte Restrisiko ist vorhanden. Rahmstorf: „Eine moderate Abschwächung erscheint wahrscheinlicher als ein Totalausfall, aber wegen der schwerwiegenden Konsequenzen muß versucht werden, das Restrisiko genauer zu quantifizieren.“ Mit Hilfe der Computersimulation kann der Ausfall des Conveyer Belts gut dargestellt werden. Wichtigste Folge: Die Temperaturen in Europa sinken um fünf bis zehn Grad.
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