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Der Olly übers Fahrrad

■ Skaten – 40 Jugendliche bauen ihre Subkultur am Rand der Welt in Ostfriesland

Das ostfriesische Leer ist sauber, ruhig und freundlich. Jeden Morgen wird die Fußgängerzone zwei Stunden vor Geschäftsöffnung ordentlich gefegt. Trotz 20 Prozent Arbeitslosen gilt Leer als Einkaufszentrum. Die „Wir ab 30“reißen sich darum, etwa als Beamte hierhin zu kommen. Wassersport, Küstennähe und ein halbwegs heiles ökologisches Umfeld locken.

Für Tarkan ist das alles nichts. Tarkan ist 13, Skater und Türke. Eigentlich keine guten Voraussetzungen um in der „freundlichen Einkaufsstadt“zurechtzukommen. Bei der letzten Kommunalwahl gewann die „Allgemeine Wählergemeinschaft“mit der unverhohlenen Forderung „Deutschland den Deutschen“auf Anhieb 14 Prozent der Wählerstimmen. Auch das ist für Tarkan „lappig“, soll heißen schnuppe. Für ihn zählt Skaten, Gangsta- und türkischer Free-Style-Rap, „so wie Cartell in Berlin, oder so wie unsere Jungs das machen“. „Wir haben eine Band“, sagt Erkan (17).

Das Klappern der Skateboards hallt im dunklen Gewerbehof wider. „Deswegen sind wir ja hier“, schreit Anke (15). „Überall werden wir verjagt. Wegen dem Krach.“Alex (14), Rainer (16), Mario (17) und Marius (16) brettern über eine Europalette und üben „Ollies“, Pop-Shovits oder „One-Eighties“. Für Uneingeweihte: Sprungtricks. „Karl ist Reißer, der schafft einen Olly über ein Fahrrad rüber“, meint Felix (16). Wovar (17) aus dem Libanon grinst: „Wir Mädchen skaten nicht, wir schauen nur zu, wie die Jungs ihre Bretter ruinieren.“„Oder sich die Knochen brechen“, lacht Jessica (16). „Wir haben schon unseren Spaß.“

Sie kommen aus Firrel, Loga, Bingum, Leerort, Ditzum. Sie besuchen Hauptschule, Realschule, eins der beiden Gymnasien oder die Berufsschulen. Sie besitzen Staatsbürgerschaften russische, deutsche, polnische, kurdischer, türkischer oder libanesischer Nationalität. Probleme? „Echte Skater, nie!

40 bis 50 Jugenliche zwischen 13 und 20 treffen sich hinter der alten Molkerei am Bahnhof. Das ist ein bißchen wie Bronx. Müll, Schutt und Gewerbeabfall liegen hinter dem Gemäuer, halb Ruine, halb Baustelle. Der Wind schneidet den kalten Schatten im Hinterhof. Vor einem Jahr hatten sich die Juppies hier eingenistet. „Alte, über zwanzig, die haben Gotcha gespielt. Voll lappig.“

„Ih, sind Deine Schuhe häßlich.“Wovar setzt die Colaflasche ab.

Der Auftritt mit den neuen Schuhen ist Wenke daneben gegangen. Bei Klamotten ist die Clique eigen. DC's oder es-Schuhe aus Bremen oder aus dem Versandkatalog müssen sein. Genauso wie Skater-Shirts und vor allen Dingen die Hosen! Skater muß man sofort erkennen. „Wir Mädchen knutschen uns.“„Ih, mit Zunge?“„Jah!“„Nee, wir Jungen nicht, nur wenn wir uns gut kennen.“„Aber wir sind nicht schwul!“„Na und“, „Ay, warum laßt Ihr die Hosen runter“, schreit Wenke. Skater tragen ihre Hosen in der Kniekehle. „Nur zum Schutz, wenn das Brett mal in die Eier springt.“„Alle sollen sehen, daß wir Skater sind. Weil Poser können wir nicht ab. Poser tun nur so als ob und schwätzen. Da kann es schon mal krachen.“„Da gibt es ein paar Papenburger zum Beispiel, sind sowieso nur Carry-Skater“, erklärt Tarkan. Man besucht sich zwar, aber irgendwie kommen die protestantischen Ostfriesen mit katholischen Emsländern nicht immer zurecht. Das war schon bei den Eltern so. Auch die schwärmen noch heute von satten Schlägereien mit den „Schwarzen“. Erst supen dann pupen, erst saufen, dann Stunk machen, war ihr Leitspruch. Und die Skater? „Alle unterstellen uns Gewaltbereitschaft. Quatsch. Wir wollen nur in Ruhe gelassen werden.“„Natürlich kommen wir in Kontakt mit Drogen.“„Die einzige Droge, die Skater haben, ist die Musik“, protestiert jemand aus dem Hintergrund. „Gerade Du“, betretendes Lachen.

Wenn Alex von Posern oder Carry-Skatern spricht, meint er „oberlappige-Lappen“, schlimmer sind nur die Inliners. „Die sind voll wenig. Geleckt von oben bis unten. Die kriegen überall ihre Fahrlines. Die Skater, die sind ghetto, die kriegen nichts.“Tatsächlich gibt es einige Inline-Pipes in Leer. Im Jugendzentrum durften die Skater schon mal „reißen“, aber das wird demnächst aus Kostengründen geschlossen und verlegt.

„Inline kann jeder, Skaten mußt du echt lernen“, sagt Mario (16) fast schüchtern. „Er übt schon seit zwei Jahren“, flüstert Wenke. „Der macht das für den Contest.“Contests sind in Skater-Wettbewerbe. Meist in der Clique fahren die LeeranerInnen mit dem Wochenendticket durch Norddeutschland. Niemand bekommt mehr als 100 Mark Taschengeld im Monat. „Wir verrechnen unsere Klamotten bei den Eltern.“Trotzdem wird die Kohle eng. Parties zu Hause, Fahrten von Ostfriesland ins „Ausland“und Verpflegung für die Nachmittage kosten eben. Viele von uns jobben“, sagt Anke. „Als Zimmermädchen oder Küchenhilfe oder Putze, in Gärtnereien, als Verkäuferinnen.“ Thomas Schumacher

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