Das Portrait
: Das soziale Gesicht der Dynastie

■ Susanna Agnelli

Der Satz, der ihr seit frühester Kindheit eingehämmert wurde, lautete: „Denk immer daran, daß du eine Agnelli bist.“ Die 1922 geborene jüngere Schwester des Familienpatriarchen Giovanni, genannt Gianni, und ältere Schwester des Nachzüglers Umberto Agnelli wuchs in eine Familie hinein, die längst zur Dynastie geworden war. Die Enkel des Fiat-Gründers Giovanni Agnelli wurden systematisch als Kronprinzen erzogen – wobei die Schwester, Italien bleibt sich treu, natürlich viel weniger Spielraum bekam als die beiden Brüder, von denen vor allem Gianni mit seinen erotischen Eskapaden häufig über die Stränge schlug.

Susanna dagegen erfüllte schon bald alle Voraussetzungen für die Grande Dame der italienischen Gesellschaft, ohne Skandale, immer überlegen im Auftreten, jederzeit bereit, auch heikle Aufgaben zu übernehmen, und keineswegs nur solche der „femininen“ Art. Wenn die Agnellis ihren „Mann“ in der Politik brauchten, sprang sie klaglos ein, obwohl ihr viel mehr soziale Aufgaben lagen (sie hat unter anderem eines der ersten Bücher über drogenabhängige Straßenkinder geschrieben): 1974 ließ sie sich über die Liste der industrienahen Republikanischen Partei gar zur Bürgermeisterin der Gemeinde Santo Stefano wählen, einem Nobelort nördlich von Rom, wo die VIPs ihre Datschen haben. Die Wahl hatte für Italien weitreichende Bedeutung: Ohne Scheu vor den Prügeln der Konservativen und der reaktionären Presse bildete Susanna Agnelli eine Koalition mit den Kommunisten – Vorbereitung für den „Historischen Kompromiß“ aus Christdemokraten und KP.

Es war wohl ihre wichtigste politische Aktion, obwohl sie später noch wesentlich bedeutendere Posten bekleidete: zuerst Abgeordnete, dann Senatorin, Europaabgeordnete, in den 80er Jahren Staatssekretärin im Auswärtigen Amt in mehreren Regierungen, mit besonderer Neigung zur Dritten Welt und zum Ostblock (was dem Familienunternehmen sicher sehr zugute kam), dann in der Regierung Dini 1995 Außenministerin.

Bei den Neuwahlen 1996 hat sie nicht mehr kandidiert, derzeit spielt sie nur noch im Stadtrat von Rom eine Rolle – ein langsamer, gewollter, für sie wohl auch befreiender Rückzug.

Werner Raith