: Moskau sucht das Heil im Osten
Chinas Staats- und Parteichef auf Staatsbesuch in Moskau: Die russische Regierung will eine stärkere Bindung beider Länder als Drohgebärde gegen die Nato-Osterweiterung ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath
Seit gestern hält sich Chinas Staats- und Parteichef Jiang Zemin in Moskau auf, vier Tage wird er noch bleiben. Präsident Boris Jelzin unterbricht extra für den Pekinger Gast seinen verregneten Urlaub an Rußlands Schwarzmeerküste. Die Beziehungen zum chinesischen Nachbarn stehen, seitdem die Nato-Osterweiterungspläne vor drei Jahren deutlichere Konturen annahmen, ganz oben auf Moskaus außenpolitischer Prioritätenliste. Einmal im Jahr treffen sich die Staatschefs, zweimal jährlich die Ministerpräsidenten. 1994 erklärte Premierminister Wiktor Tschernomyrdin gar zum „chinesischen Jahr“.
Auf der Tagesordnung steht zunächst die Unterzeichnung eines Abkommens über Truppenreduzierung an der 4.000 Kilometer langen gemeinsamen Grenze, dem sich auch die mittelasiatischen Staaten Kirgistan, Tadschikistan und Kasachstan anschließen, die ebenfalls Chinas Anrainerstaaten sind. Bis 1989 schluckten die Grenzsicherungsmaßnahmen auf beiden Seiten Milliarden US-Dollar. Erst 1989, nach mehr als 20 Jahren Feindseligkeiten zwischen den beiden kommunistischen Rivalen, gelang es den Parteichefs Gorbatschow und Xiao, die Atmosphäre zu entspannen, ohne indes das gegenseitige Mißtrauen gänzlich abbauen zu können. Obwohl beide Seiten nach außen Gemeinsamkeit und Harmonie demonstrieren, konnte das bilaterale Verhältnis nicht von allen Konflikten bereinigt werden.
Dennoch beabsichtigen Moskau und Peking, gemeinsam ihre Vorstellungen der politischen Weltordnung im 21. Jahrhundert darzulegen. „In dieser Deklaration werden Rußland und China ihre Vision ausdrücken, wie die internationale Ordnung im 21. Jahrhundert zu gestalten ist ...“, verlautete gestern aus dem Kreml. Die Betonung liegt allerdings auf dem Nachsatz: Man wolle sich dagegen aussprechen, daß „irgendein Land Anspruch auf eine absolute Führungsrolle“ erhebt.
Unschwer zu erraten, wer gemeint war: Adressat sind die USA, die Moskaus Widerstand gegen die Osterweiterung der Nato aus der kompromißlosen Perspektive des Stärkeren abgeschmettert haben. Mit Sicherheit stammt die Initiative zu dieser Erklärung aus Moskau, das seit längerem darum bemüht ist, die verbesserten Beziehungen zu China als das Fundament einer „strategischen Partnerschaft“ hinzustellen.
Je deutlicher sich abzeichnete, daß der Westen Rußlands Vorstellungen eines neuen Sicherheitssystems in Europa nicht teilte, desto hektischer suchte Moskau nach alternativen Bündnispartnern. In die engere Auswahl gelangten Indien und China. Ausgeprägtes Interesse an engen Beziehungen zeigt auch der Iran. Doch die außenpolitische Elite Moskaus begeht bei ihrer Suche nach Verbündeten alte – noch aus imperialistischem Geist gespeiste – Fehler. Sie tut so, als hänge die Entwicklung allein von ihrem Willen ab. Dem Westen für den Fall einer Osterweiterung der Nato mit einer strategischen Partnerschaft mit China zu drohen, zieht die Interessen der potentiellen Partner gar nicht in Betracht.
Die Chinesen reagieren auf derartige Vorschläge auf ihre Weise: Sie kritisieren Rußland nicht öffentlich, geben aber an anderer Stelle zu verstehen, an einem wie auch immer gearteten Militärbündnis nicht interessiert zu sein. Während Rußland seine weltpolitische Geltung durch Pekings Hilfe liften möchte, liegt China eher an einem pragmatischen Verhältnis zum Nachbarn, um seine wirtschaftliche Position auszubauen und die Reformen voranzutreiben.
In dieser Phase überlagern sich die chinesisch-russischen Interessen. China sieht in den USA seinen Hauptkonkurrenten im nächsten Jahrhundert, dessen Einfluß es einzudämmen gilt. In der UN stimmten beide Länder in den letzten Jahren wiederholt gemeinsam ab. China erklärte den Tschetschenienkrieg zur inneren Angelegenheit des Nachbarn, Rußland wiederum verkehrt mit Taiwan nur nach vorheriger Absprache in Peking. Auch in Mittelasien ziehen beide an einem Strick. Beiden bereitet die Vorstellung Kopfschmerzen, der Islam könne dort weiter an Boden gewinnen. Die Chinesen fürchten um ihre Nordwestprovinz Xinjiang, wo sieben Millionen turksprachige Uiguren wohnen. Erst kürzlich schlugen die Chinesen einen Aufstand der muslimischen Bevölkerung blutig nieder. In der Russischen Föderation leben auch über 20 Millionen Muslime.
Die politische Elite Rußlands hat sich indes nicht geschlossen für eine Allianz mit China entschieden. Außenminister Primakow, der Rußland als eine eurasische Macht etablieren möchte und die Kontakte zu asiatischen Staaten intensivierte, dürfte sich zur Zeit mit seiner skeptischen Haltung gegenüber dem Westen nicht widerspruchslos durchsetzen.
Neben Deutschland ist China Rußlands zweitwichtigster Handelspartner. Vor allem exportiert Moskau mehr Fertigwaren nach China als in jedes andere Land der Welt. Im Austausch mit dem Nachbarn macht sich die technologische Überlegenheit noch deutlich, so etwas tut der gekränkten russischen Seele gut. Während Jiangs Visite ist vorgesehen, auch einen Vertrag über den Bau des größten Atomkraftwerks in der Region des Stillen Ozeans abzuschließen, desgleichen befindet sich der Bau einer 6.000 Kilometer langen Gaspipeline noch in der Projektphase. Um die Vorhaben nicht zu gefährden, sind die Chinesen durchaus bereit, dem Kreml vorübergehend politische Zugeständnisse zu machen.
Neben Indien gehört China zum Hauptabnehmer russischer Waffensysteme. Aber während Moskau komplette Systeme absetzen möchte, liegt den Chinesen daran, nur noch Lizenzen und Know-how zu erwerben.
Während man im Kreml um Peking buhlt, gefällt den Russen im Fernen Osten die in Aussicht gestellte Freundschaft weniger. In der letzten Woche veranstalteten die Behörden in der Region Primorje die Aktion „Ausländer“. Dahinter verbergen sich Razzien nach angeblich illegal eingewanderten Chinesen.
Die russischen Gouverneure werden nicht müde, die Angst vor den emsigen Nachbarn zu schüren. Dem Kreml halten sie unterdessen vor, im Grenzvertrag von 1991 China urrussischen Boden gratis abgetreten zu haben. Besonders an zwei Parzellen im Gebiet Chasansk ist ihnen gelegen. Sollten die Chinesen das Land in Besitz nehmen, hätten sie einen Zugang zum Japanischen Meer und die russischen Häfen am Ende nichts mehr zu tun ...
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