: 39 gefrorene Engelstränen
■ 39 Filme zum 100. Geburtstag: Eine Douglas-Sirk-Werkschau im Metropolis
Ein Kuß, der im Sturm verrutscht, ein schnupperndes Reh im frisch gemähten Vorgarten einer Witwe, die seit der Einstellung ihres neuen Gärtners endlich wieder etwas zu lächeln hat. Oder Zarah Leander, die ihrem Sohn, der noch nie Schnee gesehen hat, mit tränenverhangenem Blick erklärt, daß die Eiskristalle nichts anderes seien, als gefrorene Tränen. Die Engel würden über die Menschen weinen, weil sie ihnen nicht helfen könnten. Und dann seufzt sie noch einmal, schaut ins Ungefähre, nimmt ein Seiteninstrument, und summt La Habanera.
Und weil auch der gebürtige Hamburger Douglas Sirk, dem das Metropolis ab heute zum 100. Geburtstag eine Werkschau mit 39 Filmen widmet, seinen Figuren nicht helfen kann, oder doch wenigstens seine Filme von diesem kalkulierten Fatalismus leben, schluchzt immer das ganze Dekor mit. Schmatzende Farben, hysterische Geigen, beschlagenes Objektiv.
Detlef Sierck, der Bühnen- und Filmregisseur aus Eimsbüttel, wurde in den 30ern von der UFA fest engagiert, obwohl er sich immer wieder als Antifaschist erklärte. Er machte aus Zarah Leander einen Star, ging nach Amerika, heißt nun Douglas Sirk und bastelte zunächst Hühnerlegebatterien, bevor er das erste amerikanische Drehbuch in die Hand nehmen durfte. Nach einigen Billigproduktionen und vor allem nach Hitler's Madman stellen sich endlich ein bißchen Ruhm und bald einträgliche Hollywooderfolge ein. McCarthys antikommunistische Hexenjagd treibt Sirk zurück nach Deutschland, später nach Italien, wo er 1987 starb.
Sirks „Weepies“sind vielleicht nicht immer geschmackvoll, aber sie bleiben trotz aller Zuckergußzutaten im Kern stets elegant und raffiniert. So befindet sich in jeder dieser kleinen gefilmten Schneekugeln doch auch der Widerschein einer skeptisch, manchmal geradezu anarchischen Weltsicht. Vor allem in den Melodramen der 50er Jahre All I Desire, Magnificent Obsession, There's Always Tomorrow oder The Tarnished Angels benutzt Sirk diese Tränenwärmersparte der Populärkultur, um Widersprüche in der bürgerlichen Ideologie aufzudecken. Und so ist die Familie stets der Ort an dem Sirk systemmatisch an der Verunklärung moralischer Fronten arbeitet. Wenn zum Beispiel die Halbwaisen in All that Heaven Allows, ob aus unübersehbar ödipalen Sehnsüchten oder aus Spießigkeit, ihrer Mutter nicht den Zweitmann gönnen, ist das Durchsetzungsvermögen der Hausfrau am Ende schon eine kleine frauenrechtliche Revolution.
Zwar leisten sich Sirks Filme keinen wirklichen Schurken, doch immerhin reicht ein böses Leichtgewicht wie die Nymphomanin Dorothy (Mary Lee Hadley) in Written On the Wind schon aus, um das Bild der Famile als solidarische Gemeinschaft zu demontieren. Und wenn Rock Hudon als unglücklich in die Freundesfrau (Lauren Bacall) Verliebter geprügelt und als besitzloser Vermittler in dekadenten Industriellenfamilienstreits ausgenutzt wird, läßt sich das durchaus als Spitze gegen die Überbleibsel des Feudalismus lesen. Zum Umsturz reift das Ganze nicht, also muß der Zufall helfen, damit der Kronprinz stirbt und die Witwe dem Bürgerlichen bedenkenlos in die Arme fallen kann. Doch Sirks Happy Ends sind immer zweispältig. Das radikale Ausstellen individuellen Unglücks ist eher sein Metier.
Doch manchmal, wenn der Kamin besonders flackert, oder die Sonne aufgeht, kriegen sie sich. Es ist zum Heulen. Oder sie kriegen sich nicht. Dann ist es auch zum Heulen. So ist das im Kino und in allen schweren Träumen nun mal.
Birgit Glombitza
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