Bebop auf der Quetschkommode

■ Die Band des Akkordeonspielers Richard Galliano trat Dienstag abend im KITO auf

Auf den ersten Blick scheint es eines der für den Jazz am wenigsten geeigneten Instrumente zu sein: Das brave Akkordeon ist etwa so hip wie die Blockflöte und paßt eher zur Volks- und Salonmusik als zu wilden Improvisationen oder expressiven Balladen. Aber für jedes Mauerblümchen kommt in den Künsten der Tag, an dem ein besonders begabter Dickkopf aller Welt beweist, daß man auch aus Sandburgen Kathedralen, aus Fortsetzungsromanen Weltliteratur oder eben auf der Quetschkommode Bebop machen kann.

Der Franzose Richard Galliano hat sich dafür offensichtlich den Bandoneonspieler Astor Piazolla zum Vorbild genommen, der mit dem „Tango Nuevo“die erotische Barmusik zur Kunstform veredelte. Galliano bastelt ganz ähnlich die französische populäre Musik um, und so haben viele seiner Stücke ein sofort erkennbares Pariser Flair. Er setzt an bei der typischen beschwingten Akkordeonmusik, die zu den Klischees von Frankreich gehören wie das Baguette, der Triumphbogen oder die Concierge. Aber er bearbeitet diese einfachen Melodienmuster so, als wären es Jazzstandards, bei denen er mit seiner Band dann in ihren Soli überraschende Nuancen und Tiefen findet. „New Musette“nennt er diese geschickte Melange mit der er am Dienstag abend sein Publikum im gut gefüllten KITO begeisterte.

Mit seiner Phrasierung erinnert Galliano auf dem besonders schwer zu spielenden Knopf-Akkordeon an Pianisten wie Keith Jarrett oder Oscar Peterson. Eine eigene Note bekommt sein Spiel dadurch, daß er einige Töne verzieht und so dem von der Tonbildung her eher rigiden Instrument zu einem schwärzeren Sound verhilft. Manchmal schienen Galliano und sein Gitarrist Bireli Lagrene ein wenig zu selbstverliebt in ihre Virtuosität. So rasten die beiden Charlie Parkers Bebop-Klassiker „Donna Lee“ohne jede Geschwindigkeitsbegrenzung herunter.

Bei den meisten Stücken hielten sich aber Musikalität und Technik die Waage, und man kann die Souveränität nur bewundern, mit der Galliano alle geschmacklichen Untiefen seiner Genremischungen umspielte. In der mit deutlichen brasilianischen Anklängen versehenen Eigenkomposition „Sertao“lauerte ständig die Gefahr, in den Banaliäten des „Lambada“zu versinken. Aber immer wenn die Musik allzu nett zu werden drohte, steuerten Galliano und seine Band mit inspirierten Soli dagegen. Lagrene und Galliano hatten dabei die gleiche Vorliebe für verquere Läufe und ungewöhnliche Harmonienfolgen, und Bassist Philippe Aerts sowie Schlagzeuger Roberto Gatto lieferten dafür einen solide swingenden Rhythmusteppich.

Mit der klassischen Jazzballade „All the things you are“und zwei Tangos seines Mentors Astor Piazolla rundete Galliano das erstaunlich vielseitige Programm ab. Das Publikum war deutlich gemischter als bei anderen Jazzkonzerten. Der Beifall indes war ungeteilt enthusiastisch. Wilfried Hippen