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Filme wie Fallschirme

Wenn er nicht „öffnet“, bist du tot: Angesichts der explodierenden Kosten speziell der allseits beliebten „Ereignisfilme“ entdeckt Hollywood die Chaostheorie. Wird die Titanic es diesmal schaffen?  ■ Von Mariam Niroumand

Weil Esoterik und Wissenschaft sich in Kalifornien schon immer sehr nah waren (Scientology!), wundert sich niemand, daß Hollywood plötzlich die Chaostheorie entdeckt hat. Der New Yorker stellte kürzlich mit einer gewissen amüsierten Ostküsten-Herablassung einen Typ mit dem sprechenden Namen Art de Vany vor, der auf einem Militärgelände im Mojave Desert aufgewachsen ist, vor Hollywoodstars Baseball gespielt, dann an der UCLA Wirtschaftswissenschaften studiert hat und schließlich, gemeinsam mit einem Freund, ein Buch darüber schrieb, wie sich Kinogänger verhalten.

Inspiriert worden waren die beiden von einem anderen Duo, Albert Einstein und Satyendra Nath Bose, die in den 20er Jahren einen Aufsatz über Gasmoleküle im geschlossenen Raum verfaßt hatten. Wo die Bälle entstehen, kann niemand voraussagen, aber kommen müssen sie. De Vany, der zwischen Mai 1985 und Januar 1986 die Box- Office-Ergebnisse von 300 Filmen studiert hat, behauptet nun, daß sich diese Sat.1haft-fröhliche Unordnung mit dem Verhalten von Zuschauern vergleichen läßt. Mit ein bißchen Hilfe von der Spieltheorie, der Evolutionslehre und eben den Chaosgrundsätzen versucht er zu erklären, wie es kommt, daß inzwischen ein Fünftel der Filme vier Fünftel der Einnahmen macht („wie in einem Dritte-Welt- Land“, kichert de Vany). De Vany operiert mit der etwas geschraubt klingenden Vorstellung von der Informationskaskade: Alles hängt davon ab, wie der Film am ersten Wochenende läuft; alles andere – Genre, Besetzung oder Budget – scheint keinen Einfluß zu haben.

In Genres zu denken hat keinen Sinn

„,Back to the Future‘, ,Rambo‘ oder ,RockyIV‘ sind in unserem Zeitraum gut gelaufen“, meint de Vany, „aber auch billigere und kleinere Sachen, wie ,Cocoon‘, oder ,The Goonies‘. Der Name Schwarzenegger allein genügt nicht, wie man an ,Last Action Hero‘ gesehen hat, der Columbia Pictures schließlich 20 Millionen Dollar gekostet hat. Es hat auch keinen Sinn, in Genres zu denken. Zum Beispiel ,Forrest Gump‘ – da haben die Leute anschließend Genres erfunden, in die er hineinpassen konnte. Es hat überhaupt keinen Sinn, da auf Nummer Sicher gehen zu wollen und einfach weiter ,Baseballfilme‘ oder ,Komödien mit Hund‘ machen zu wollen.“

Obwohl de Vany aus Hollywood haufenweise Verträge angeboten bekommt (er wird den Teufel tun und einen annehmen), stellt sich die Lage in den Studios als nicht ganz so unberechenbar dar. Das Genre des Tages ist der „Event-Film“, und kein Schmetterlingseffekt wird daran etwas ändern. „Event“-Filme sind beispielsweise der Vulkanausbruchsfilm „Dante's Peak“ mit Pierce Brosnan, und schon bald kommen „Titanic“, „Volcano“ und „Starship Troopers“ (ein Film über Riesenspinnen); außerdem Sequels zu „Speed“, „Jurassic Park“, „Alien“ oder „Batman“.

Filme solcher Art haben Twentieth Century Fox, die inzwischen Rupert Murdoch gehört, gerettet, und zwar mit äußerst risikoscheuem Verhalten. Einfache Rechnung: Zwischen 1980 und 1996 sind die durchschnittlichen Kosten einer Filmproduktion in Hollywood von 13 auf 59 Millionen Dollar gestiegen, also um etwa 400 Prozent. Die großen Studios machen pro Jahr etwa 15 bis 20 Filme. Es brauchen nur sehr wenige davon zu floppen, und das Studio ist bankrott – so ist es Sony gegangen.

Nie wieder Mittelklasse!

Bei Fox haben sie daraus eine einfache Konsequenz gezogen: „Was wir nicht mehr machen“, so der Studioleiter Bill Mechanic, „das sind die sogenannten Mittelklassefilme, die 20 bis 40 Millionen Dollar kosten und einen mittleren Star und eine mittelklasse Idee aufbieten – so was wie ,City Hall‘ (mit Al Pacino), ,The Fan‘ (immerhin mit Robert De Niro) oder ,The Juror‘. Solche Filme haben früher mal funktioniert, weil es da einfach weniger Filme gab. Wenn du in einer Welt lebst, in der es am Wochenende einen oder zwei neue Filme gibt, dann sagst du dir: Okay, ich habe alles andere gesehen, da nehme ich das jetzt auch noch mit.“

In der Tat haben sich die Zeiten diesbezüglich auch sehr geändert: 1985 produzierten die Studios insgesamt 153 Filme, zehn Jahre später waren es schon 234. Peter Chernin, ebenfalls Fox, zum New Yorker: „Wenn an jedem Wochenende vier oder fünf Filme starten, kannst du nicht langsam aufbauen. Entweder du eröffnest stark am ersten Wochenende, und dann bleibst du eine Weile, oder du läßt die Hälfte der Leinwände in der nächsten Woche fallen und bist das Wochenende darauf weg vom Fenster.“

De Vany findet, die Chaostheorie beschreibe auch diesen Zusammenhang perfekt: „Je mehr Filme um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit buhlen, desto höher die Zahl der Möglichkeiten, was aus einem Film wird, und natürlich auch eine größere Chance zu floppen.“ Deshalb lautet die Zauberformel in Hollywood auch „to open a movie“; ein bißchen wie bei einem Fallschirm: Wenn er nicht öffnet, bist du tot.

Wieder finden die Studioangestellten die Sache nicht so unwägbar wie der Akademiker. Wieder Chernin: „Es gibt zwei Dinge, die das Schicksal schon erheblich in die eigene Richtung wenden können. Ein Name oder ein Ereignis. Tom Cruise, Harrison Ford, Mel Gibson, Tom Hanks, Arnold Schwarzenegger, John Travolta. ,Kopfgeld‘ wäre ohne Mel Gibson einfach ein Mittelklassefilm gewesen, ,Jerry Maguire‘ ohne Tom Cruise ebenfalls; das sind keine Konzeptfilme, da geht es um eine Figur und ihre Geschichte. Wenn Tom Hanks das Telefonbuch spielen will, machen wir eben das Telefonbuch.“ Nur können eben die paar großen Stars nicht mehr als 15 oder 20 Filme pro Jahr machen. Für die 200 Filme, die die Studios im Jahr produzieren, reicht das nicht – schon aus dieser Notlage ist das Konzept des Ereignisfilms geboren.

„Independence Day“, auch von Fox gestartet, entpuppte sich als der zweiterfolgreichste Film aller Zeiten, trotz eines denkbar einfachen „Konzepts“ – Aliens greifen die Erde an, die Erde schlägt zurück – und, mit Ausnahme von Jeff Goldblum, keinen Stars. Der Trick war, den Trailer dazu, nämlich die Attacke auf das Weiße Haus, während der Super-Bowl-Fernsehhochzeit zu senden – was für Coca- Cola oder Budweiser funktioniert, so schrieb John Cassady –, warum soll das nicht auch für Filme gehen? Auf diese Weise wurde der Film, der natürlich den denkbar symbolträchtigsten Starttermin des Jahres hatte, sofort Teil der Alltagskultur; ähnlich wie die neuen „Star Wars“-Folgen, die ebenfalls Fox lancierte. Es war das erste Mal in der Geschichte, daß Newsweek und Time zugleich ihre Titelblätter einem Film widmeten.

Ausgerechnet Titanic als Testfall

Der Testfall für das Event-Genre – da ist man sich von Variety bis New Yorker einig, wird James Camerons Remake von „Titanic“ werden, das Fox und Paramount gemeinsam starten. Es wird zur Zeit in Mexiko gedreht und könnte leicht die 200-Millionen-Dollar- Marke übertreffen. Der Variety- Kolumnist Peter Bart wiegt besorgt das Haupt: „Auf die Titanic haben schon ganz andere Leute gesetzt. Es gab schon ein Dutzend Filme, ungefähr 100 Bücher, jetzt eine Fernsehserie auf CBS und ein neues Broadway-Musical. Mit Leonardo di Caprio als einzigem Star kann man nur hoffen, daß die 250 Spezialeffekte in Camerons Film sehr spezial sind.“ Jedenfalls gibt es auch ein Titanic-Kochbuch, „Last Dinner on the Titanic“, mit den berühmten „Austern à la russe“.

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