Techno-Sound als Sprache

■ Oskar Sala, 86jähriger Pionier der elektronischen Musik, und vier seiner Nachfolger heute abend in der Volksbühne

1997 ist alles Techno. Seine 4/4-Beats sind der kleinste gemeinsame Nenner für alle möglichen Formate von Pop bis Experimentalmusik. Daß sich in der Berliner Volksbühne mit Oskar Sala, Max Eastley, Thomas Köner/Porter Ricks und DJ Bleed heute abend vier Generationen von Elektronikern treffen werden, ist beispielhaft dafür, daß Techno-Experimente heute nicht unbedingt in Vollkörperkontakt auf dem Tanzboden stattfinden, sondern zu Hause oder eben im Theater.

Electronic Listening ist das Stichwort. Das erhöhte Interesse an Electronica aller Farben und Formen erklärt sich wohl nicht zuletzt aus dem Bedürfnis einer Generation, die mit Techno erwachsen geworden ist: Die Geschichte der Elektrotechnik als „cultural memory“ und Steigbügel auf der Suche nach Identität.

Als „Kino fürs Ohr“ hat David Toop das Ergebnis seiner 95er Kollaboration mit Max Eastley bezeichnet. Eastley erforscht seit den sechziger Jahren Klänge, indem er dort ansetzt, wo sie produziert werden. Er sammelt Instrumente aller Art und entwirft seine eigenen Klangerzeuger. Auch Thomas Köner, der zusammen mit Eastley das Projekt „List of Japanese Winds“ in der Volksbühne uraufführen wird, geht es um die „Eigenständigkeit klanglicher Ereignisse“, um den Sound als Projektionsfläche für die eigene Imagination, wie er dem Fanzine House Attack verraten hat.

Köner ist einer der wenigen, der in seiner Arbeit tatsächlich das Spektrum zwischen eher akademischer und cluborientierter Musik abdeckt. Der Titel seiner dritten CD „Permafrost“ spricht nicht nur für sich selbst. Hier herrscht der Beinahestillstand eines hochdifferenzierten Rauschens, das sich durch fast alle Werke Köners zieht. Während seine Soloprojekte in ihrer Beschäftigung mit akustischer Wahrnehmung Beats höchstens zitieren, produziert er unter dem Namen Porter Ricks mit Partner Andy Mellwig minimalistische Tanznummern. Manche nennen das sogar Funk.

Auch den Großteil des Werks Oskar Salas machen bezeichnenderweise Soundtracks für über 300 Filme aus, die der inzwischen 86jährige in seiner langen Karriere komponiert hat, darunter der für Hitchcocks „Vögel“. Er wird in der Volksbühne einige der Filme zeigen, und vor allem das Trautonium bedienen.

Sala ist Miterfinder und im Augenblick einziger Spieler des elektronischen Instruments, das 1930 an der Berliner Hochschule für Musik von Friedrich Trautwein entwickelt worden war. Damals betreute der Komponist Paul Hindemith die Rundfunkversuchsstelle der Hochschule, deren Grundlagenforschung die Musik aus den Klangwelten klassischer Instrumente befreien sollte. Das Design der Benutzerschnittstelle orientierte sich im Gegensatz zu späteren Synthesizern nicht an Klaviaturen, sondern ermöglichte die direkte Klangmanipulation über eine Metallsaite. Die Position des Fingers auf der Saite reguliert die Tonhöhe, verstärkter Druck erhöht die Lautstärke der Klänge, die durch einen Kippschwinggenerator erzeugt wurden.

Mit Hindemiths „Triostücken für drei Trautonien“ wurden 1930 die ersten Kompositionen auf dem neuen Instrument aufgeführt. An einem der Geräte saß sein Schüler Sala, der bald mit Telefunkens neuer Thyratron-Röhre das zweimanualige Mixturtrautonium entwickelte. So hing die Entwicklung elektronischer Musikinstrumente von Anfang an am Traktorstrahl der Telekommunikationsindustrie. Auch Propagandaminister Goebbels war begeistert und sorgte für regelmäßige Trautoniumsendungen im Deutschlandsender. Schließlich sollte auch die Masse der Volksgenossen in den Genuß eines „Volkstrautoniums“ kommen. Dieser frühe Boom der Elektromusik war aber genauso kurzlebig wie der des Fernsehens, das ebenfalls längst entwickelt worden war.

Salas Kompositionen illustrieren vor allem den Variationsreichtum seines Instruments und reichen von klassischen Formen bis zu Improvisationen, die an Free Jazz erinnern. Sala moduliert auf dem Trautonium nicht nur die bekannten Klangwelten von Naturgeräuschen bis zu den klassischen Instrumenten, sondern entwirft auch Klänge, von denen man nur annehmen konnte, daß sie eigentlich existieren sollten.

Diese Idee von elektronischen Sounds als Sprache, mit der sich Klänge beschreiben und neu erfinden lassen, verbindet Sala mit den Nichten und Neffen von Techno. In diesem Sinne wird DJ Bleed vor dem Konzert vermischte Samples des Patenonkels ins Foyer streuen. Ulrich Gutmair

Oskar Sala, Max Eastley, Thomas Köner/Porter Ricks und DJ Bleed, heute, 22 Uhr, Volksbühne