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„Berlin würde brausen“

Rund 70 Millionen Fahrräder stehen in Deutschland, doch längst nicht alle fahren. Der Handel bleibt rückläufig, aber ist der Markt gesättigt? ■ Von Matthias Fink

Anfang dieses Monats gab die Firma Kynast im niedersächsischen Quakenbrück bekannt, daß 250 von 1.400 Beschäftigten entlassen werden. Vor sieben Jahren waren es noch 2.200 gewesen. Die hatten damals noch 6.000 Velos täglich hergestellt – im letzten Jahr lag die Produktion nur noch bei 3.500 Fahrrädern.

Die Probleme der Firma Kynast sind kein Einzelfall. „In nächster Zeit wird der Markt relativ aufgeräumt sein“, erwartet Ernst Steinhauer vom Fahrradladen „Ostrad“ in Prenzlauer Berg. Größere Betriebe würden verstärkt von Konzernen aufgekauft. Gewachsen sei etwa der luxemburgische Konzern Derby, der sich nach der Wende auch in Rostock niedergelassen hat. Als alte Ost-Betriebe bestehen unter anderem Diamant in Chemnitz und Mifa (Mitteldeutsche Fahrradwerke) in Sangerhausen. Diamant gehört noch zu den großen Fabriken, die die wesentlichen Teile des späteren Fahrrades auch selbst herstellen, sagt Steinhauer.

Die Entwicklung in der Bundesrepublik verlief in den letzten Jahren wechselhaft. 1990 erreichte die bundesdeutsche Fahrradproduktion einen Höchststand. Knapp vier Millionen Fahrräder wurden im Jahr produziert. 1991 waren es schon etwas weniger, obwohl der Staat größer geworden war. Danach ist die Produktion jedes Jahr gefallen, 1994 waren es noch 2,95 Millionen. 10.000 Leute arbeiten in der Branche. In den letzten fünf Jahren ist jeder fünfte Arbeitsplatz verlorengegangen.

„Der Rückgang bei der Produktion ist jetzt erst mal aufgehalten“, sagt Ulrike Saade, Geschäftsführerin des Verbandes Selbstverwalteter Fahrradläden (VSF). Rückgang gibt es aber im Handel: „Die Verkaufszahlen sind in den letzten Jahren unheimlich runtergegangen.“ Michael Föge, Berliner Landesvorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) hält eine Flaute im Fahrradhandel für so problematisch nicht: Bei 70 Millionen Fahrrädern in Deutschland könne man wohl eher von einer Sättigung sprechen. Er frage sich sowieso, wo die ganzen verkauften Räder blieben: „Die Leute fahren nicht damit. Sonst würde Berlin brausen vor Fahrrädern.“

Ulrike Saade könnte sich mehr Gebrause vorstellen. Sie glaubt nicht, daß der Markt gesättigt sei. „Früher habe ich das auch gedacht.“ Ein schärferer Blick in das Land von Tulpen, Dope und Kaasmeisje belehrte sie eines Besseren. Was es da nicht alles gibt! „Überall in den Städten sind Service-Stationen, abschließbare Schränke für Radfahrer zum Einkaufen.“ Die gesetzlichen Regelungen beim Kilometergeld seien fahrradfreundlich verändert worden. „Das hat dort noch einen unheimlichen Schub gebracht. Von wegen Sättigung!“

Was die Geschäftsfrau allerdings bedauert: Viele Räder in den Läden sind gar zu billig. „Die Hersteller in Deutschland gehören eher zu denen, die stärker das Billigpreis-Segment beliefern.“ Aus den USA und Fernost komme viel mehr bessere Ware. Nun ändere sich das. „Die Händler merken, daß sie mehr auf Qualität achten müssen.“

Beim VSF, dem rund ein Dutzend Läden in Berlin angehören, hat man dazugelernt. Die geschäftliche Bedeutung des Fahrradeigenbaus sieht man heute nüchterner: „Wir dachten immer, das ist ein großer Anteil, aber der ist doch nur minimal“, sagt Saade. Bei „Ostrad“ in der Winsstraße läuft indessen Selbstgebautes gut: Liegeräder aus eigener Fertigung machen immerhin 20 Prozent des Umsatzes aus, erklärt Ernst Steinhauer. Der Absatz läuft so stetig, daß die Räder nicht erst auf Anforderung gebaut werden, sondern in größerer Stückzahl auf Vorrat. Nur auf das Auftragen der gewünschten Farbe müssen die KundInnen noch zwei bis drei Wochen warten.

Kundennähe spielt im Fahrradgewerbe eine wichtige Rolle. „Bei einem derart am Endkunden orierentierten Produkt“ lohne sich die Verlagerung in Billiglohnländer kaum, meint Axel Keller, Fahrrad- Entwickler aus Sindelfingen, der viel mit dem VSF zusammenarbeitet.

Am ehesten sei noch die Produktion in Tschechien attraktiv, weil häufig Nachschub oder Ersatzteile benötigt werden. „Man kann einfach mal mit dem Auto hinfahren, wenn man bestimmte Teile braucht.“ Doch im ehemaligen Ostblock fielen die Produkte oft nicht so exakt aus, wie es die deutschen VerbraucherInnen wünschen. Auch häufige Gesetzesänderungen seien Handelshemmnisse, weil sich die Importeure nicht auf stetig feste Mengen verlassen können. „Die Pioniere der ersten Stunde sind teilweise schon zurückgezuckt.“

Fahrradfabriken in Ostasien seien erst recht keine gefährliche Konkurrenz, meint Keller. Nicht nur der lange Transport falle ins Gewicht. „Ein taiwanesischer Facharbeiter kriegt auch nicht viel weniger als 20 Mark pro Stunde.“

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