Technofonische Empfängnis

Robin Rimbaud alias Scanner fischt im Äther. Telefongespräche und anderes Alltagsknistern mischt er so lange, bis Musik draus wird  ■ Von Martin Pesch

Er ist von kleiner, zierlicher Gestalt. Sein Kopf ist im Verhältnis zum Körper ein bißchen zu groß, und die rasierte Glatze betont die runden Augen. Robin Rimbaud – bekannter unter dem Namen Scanner – sieht fast so aus, wie man sich die kleinen Männchen vom Mars vorstellt. Seine Kleidung ist street, ohne hip zu sein: nicht dazu da, Modebewußtsein zu demonstrieren, sondern um schnell und leicht von hier nach da zu kommen. Stadtguerilla 2000, nicht versiert mit Pflastersteinen, sondern mit Samplern, Scannern und Sequenzern. Allein seine Erscheinung läßt den Mann, 32 Jahre alt, zu einem Phänomen werden, das in den letzten Jahren immer wieder unter „Futuro Techno“ rubriziert wurde. Dabei ist er ganz bescheiden: „Ich beanspruche nicht, mit dem, was ich tue, der erste zu sein. Vielleicht bin ich aber der letzte.“

Stimmen zu Bandschleifen

Bekannt geworden ist Rimbaud durch die Benutzung des Scanners – daher auch sein bevorzugter Projektname. Der Scanner ist bei ihm aber nicht das Gerät, mit dem man Bilder in Dateien umwandelt. Es gibt nämlich auch Apparate, die Scanner heißen, mit denen man Hörfunk- und Mobilphonfrequenzen abhören kann. Und zwar ganz legal. Wer mal auf diese seltsamen Sammelanzeigen in Illustrierten achtet, kann dort diese Dinger entdecken – beworben neben Kieferbadeöl und Höhensonnen.

Für Rimbaud ist dieser Trash- Aspekt genauso unwichtig wie der ihm gern unterstellte voyeuristische Antrieb. Und auch das Interesse an Überwachungsszenarios durch ungeahnte Vernetzung ist bei ihm kaum ausgeprägt. Bezeichnungen wie „Data Terrorist“, mit denen er oft belegt wird, findet er deshalb zum Weglaufen: „Ich habe immer Stimmen benutzt. Ganz früher habe ich Radioreportagen aufgenommen oder meinen Freunden ein Mikro vor den Mund gehalten. Ich habe die Bänder dann zerschnitten, Schleifen daraus gemacht, damit herumgespielt. Als es dann diese Scanner gab, waren das lediglich bessere Arbeitsmittel, um an Sound heranzukommen, Sounds aus anderen Bereichen, die mir bis dahin verschlossen waren.“

Neu ist das wirklich nicht. Pierre Schaeffer arbeitete für seine musique concréte schon um 1948 mit dem damals gerade entwickelten Tonband, und zehn Jahre später experimentierten Brion Gysin und W.S. Burroughs mit Fragmenten aufgenommener Sprache, woraus dann ein literarisches Verfahren, Cut Up, wurde. „Selbstverständlich bin ich mit diesen Arbeitsmethoden vertraut“, sagt Rimbaud, „und ich betrachte diese Leute alle mit großem Respekt als meine Vorläufer.“

Inszenator der Zufallsmaschine

Hört man sich den ersten, titellosen Track auf Scanners frühem Werk „Mass Observation“ (Ash International, 1994) an, hat man seine Arbeitsweise verstanden. Das, was „im Äther“ um unsere Köpfe schwirrt, wird zu Ohren gebracht. Ausschnitte aus Radiosendungen und Telefongespräche liegen in einem Meer von Interferenzgeräuschen und weißem Rauschen, Knacken und Knistern.

Rimbaud ist der Inszenator dieser Zufallsmaschine: er dreht an unterschiedlichen Empfangsgeräten, speist bestimmte Erträge in seinen Sampler ein, macht sie zu Loops oder verändert sie, bis sie sich wie Musik anhören. Zum Beispiel ist in diesem Stück minutenlang ein Freizeichen zu hören, das er zu einer Dreitonleiter, zu einer schönen kleinen Melodie gemacht hat.

Als weiteres Element gibt es dann noch die „richtigen“ musikalischen Ergänzungen. Vorbereitete Rhythmen, auf dem Keyboard spontan zu den empfangenen Sounds gespielte Musik. Manchmal verstärken diese Beiträge die manchmal bedrängenden Dialoge oder konterkarieren ihre Banalität. „Meine Musik ist als Soundtrack zu verstehen. Mein Sounddesign ist ein Gegengewicht zur Aktion. Oder ein Filter. Wenn man die Sprache nicht versteht, kann die Musik auch eine Art Übersetzung sein.“

Schönheit der Störgeräusche

Die Rhythmen, die Rimbaud benutzt, sind langsam, erinnern an Trip Hop mit verzerrten Beats. „Ich mag zwar die Bezeichnung Trip Hop nicht, aber ich mag seine Geschwindigkeit. Der Rhythmus kann gleichzeitig funky und entspannt sein. Man kann dazu tanzen oder davon eingewickelt werden. Dieses grundsätzlich Angenehme ermöglicht, mit diesem Rhythmus eine Menge auch unangenehmer Soundinformation zu transportieren.“

An bestimmten Stellen seines bisherigen Werkes spürt man, daß seine Musik Qualität einbüßt, wenn sie den Zusammenhang zur Klangforschung verliert. Einige der Tracks auf der neuen CD „Delivery“ (erschienen auf Earache/ Intercord) kommen über den derzeit kursierenden TripHop nicht hinaus.

„,Delivery‘“, sagt Rimbaud dazu, „ist eine Einführung in meine Arbeit. Es gibt darauf die eher einfachen Tracks, dann die Klangexperimente, Stücke mit Live-Instrumentalisierung usw. Wer sich für etwas Bestimmtes interessiert, kann in meinen anderen Platten weiterforschen.“

Wer dies tut, wird feststellen, daß Rimbauds Arbeit mit den aus dem Äther herausgefischten und anderen uns ständig umgebenden Geräuschen am interessantesten ist. Wie um das zu betonen, sagt er: „Sound hat mich immer fasziniert. Hörst du hier diesen hohen Ton, der ständig im Hintergrund ist, ich glaube, der kommt von der Heizung. Ich arbeite mit so etwas. Mit Sound. Mit Geräuschen, die da sind. Deren Präsenz nicht davon abhängt, ob man sie hören will. Als ich 16 war, habe ich das Album ,On Land‘ von Brian Eno, also dieses wegweisende Ambiente-Album gekauft. Als ich es zum ersten Mal hörte, nahm ich Stimmen wahr und dachte, wie gut das gemacht ist, diese leisen Stimmen im Hintergrund. Als ich die Platte am nächsten Tag hörte, waren die Stimmen nicht mehr da. Sie kamen über eine Fehlübertragung einer Radiofrequenz in meine Anlage. Das war so eines der wichtigen Erlebnisse für mich. Bei den gescannten Telefongesprächen interessieren mich oft auch mehr die Störgeräusche.“

Aber die Stimmen sind es, die seine Arbeit auszeichnen. Und in einer Zeit mit der bisher höchsten Abhörrate privater Telefonanschlüsse von seiten des Staates bekommt Rimbauds Arbeitsweise auch eine alltägliche politische Relevanz.

Genosse Zeitgenosse

Wenn ihn an diesem Thema etwas interessiert, ist es jedoch nicht die gruselige Ästhetisierung des Big Brothers, sondern die Durchlässigkeit der Schranken zwischen privaten und öffentlichen Räumen. „Ich bin eher zufällig auf diese Abhörgeschichte gestoßen. Habe aber dann gemerkt, daß Begriffe wie ,öffentlich‘, ,privat‘, ,Intimität‘ wichtig werden und daß in meiner Arbeit ein diesbezügliches Konzept stecken könnte. Von einer bestimmten Art, mit Sound zu arbeiten, komme ich dann in ganz andere, auch theoretische Bereiche hinein. Und da finden Leute Anschluß, die meine Platten vielleicht gar nicht mögen.“

So ist es nicht verwunderlich, daß die kanadischen Medientheoretiker Marilousie und Arthur Kroker sich um eine Zusammenarbeit mit ihm bemühen. Und weil Rimbaud ein gebildeter und eloquenter Mann ist, scheut er auch nicht davor zurück, seine Dienste bei akademischen Symposien zu Themen wie, sagen wir, „Öffentlich/Privat – wer gegen wen?“ zur Verfügung zu stellen.

Überhaupt ist er einer derjenigen Produzenten aus dem Lager neuer, noch mit Techno verbundener Musik, die derzeit zwischen Feuilleton und Kunstgalerie gern gesehen sind. Sozusagen als Bürge der Zeitgenossenschaft. So vertonte er kürzlich eine BBC-Sendung zu Jean Cocteau und schrieb Ballettmusik. Derzeit arbeitet er zusammen mit Laurie Anderson an einem Liveprojekt mit 400 ViolinistInnen. Und gerade feierte sein monatlicher, im Londoner ICA veranstalteter Club „Electronic Lounge“ dreijähriges Bestehen. Und der ist schließlich Vorbild aller café- oder kneipenartiger Hangouts, in denen technoinspirierte Musik geboten wird.

Private Wäsche im öffentlichen Verkehr

Daß seine Arbeit auf einer in Zeiten florierender Kommunikationswissenschaft äußerst reizvollen Parodie beruht, kommt ihm bei alldem zugute. Die Telefonleitung, in die er sich einklinkt, fungiert als privater Raum, der sich gleichzeitig in einer öffentlich zugänglichen Sphäre befindet.

Hört man auf Rimbauds Platten private Gespräche, rutschen diese in einen seltsamen Zwischenbereich. Man ist gleichzeitig fasziniert von der Intimität und abgestoßen von der Mechanik, mit der private Wäsche im öffentlichen Funkverkehr gewaschen wird. „Manchmal gibt es Punkte, wo ich das Gerät abschalte. Es wird dann zu intim. Andererseits ist es auch komisch, wie kalt man demgegenüber wird. Wenn du TV guckst, schaust du auch diesen Versuchen zu, Real- Life-Images zu machen, und in Talkshows dieser Inszenierung ,richtiger‘ Menschen.“

Vielleicht liegt es an dieser Fernsehkultur, daß die öffentlich gemachten privaten Gespräche in Rimbauds Stücken so einen künstlichen Charakter haben; als seien die Dialoge vom Blatt abgelesen und das schwere Atmen, die Gluckser und das verlegene Schlucken einstudiert. Vielleicht ist die mediale Inszenierung von Privatheit der Grund dafür, daß eine „wirkliche“ private Regung davon nicht mehr zu unterscheiden ist. Vielleicht will man das aber auch nicht mehr.

Daß Kontaktanzeigen in Stadtmagazinen voll sind von Titeln gerade im Kino laufender Beziehungsdramen, ist ein Aspekt davon. „Beim Telefon gibt es keine Untertitel“, schreibt Avital Ronell in ihrem bisher nicht übersetzten „Telephone Book“ (University Of Nebraska Press, 1989). Solange das so ist, sind Scanners Platten eine Klasse für sich.

Tour: 2.5. Rote Fabrik, 10.5. Rostock, 11.5. Chemnitz, 15.5. Berlin, 16./17.5. Köln, 18.5. Essen, 22.5. Wien, 23.5. Graz, 24.5. Klagenfurt, 28.5. Frankfurt, 29.5. Saarbrücken, 30.5. Ulm, 31.5. München