: Die Kunst des Feng Shui
■ Chinesische Einrichtungsphilosophie: Hausgeister werden in Schach gehalten, Parkuhren müssen der Harmonie weichen, und Norman Foster verschiebt ein Portal
Mit einigem Erstaunen mußte die Personalberaterin Sigrid Rödiger sich sagen lassen, daß nicht etwa Umweltgifte, sondern gewisse „Geister“ schuld daran seien, daß sie an ihrem Schreibtisch stets von lähmender Müdigkeit, brennenden Augen und Kopfschmerzen befallen wird. Zumindest in China würde man das so diagnostizieren, erklärte ihr eines Tages Andreas Schoeck, der seit nunmehr eineinhalb Jahren als selbständiger Feng-Shui-Berater arbeitet. Er selbst spricht in dem Zusammenhang jedoch lieber von unterschiedlichen Energiequalitäten, die man mit einigen Umräummaßnahmen durchaus in den Griff bekommen könnte.
Flott rückte der 37jährige Fachmann Sigrid Rödigers Schreibtisch um einen halben Meter nach links, empfahl ihr eine rote Blumenvase für den Konferenztisch und eine andere Wandfarbe in der Küche. Das Ergebnis hat die Personalberaterin derart beeindruckt, daß sie im Laufe der folgenden Monate immer mehr Details ihrer Büro- und Wohnräume nach Feng-Shui- Regeln umgestaltete. „Zuerst dachte ich ja, der Schoeck spinnt“, mußte die Realistin bekennen. „Mittlerweile frage ich ihn vor jeder Neuanschaffung um Rat.“
Was sich für Außenstehende reichlich blödsinnig anhören muß, hat im alten China eine lange Tradition. Feng Shui, das wörtlich übersetzt „Wind und Wasser“ bedeutet, gilt dort als irdisches Äquivalent der Astrologie, nur daß nicht die Sterne, sondern die Umgebung mit ihren Bergen und Flüssen zu deuten ist. Die „Harmonie mit dem Universum“ ergibt sich schließlich aus komplizierten Berechnungen mit einem chinesischen Kompaß, dem Lo Pan, unter der Berücksichtigung des Geburtstags des Bewohners, seines chinesischen Elements, der Yin-und Yang-Gleichgewichtslehre sowie einer gehörigen Portion Aberglauben. Am Ende steht fest, wie der Bewohner das „Chi und Sha“ – so nennt man in China die günstigen und die negativen Energien – in seinem Haus optimal nutzen kann.
So kann es durchaus schon mal passieren, daß ein Bewohner sein Schlafzimmer mit dem Wohnzimmer vertauschen muß, um besser schlafen zu können. Auch die persönlichen „Geld-“ und „Beziehungsecken“ können aufgestöbert und mit kleinen Finessen sogar aktiviert werden. Wundern Sie sich nicht länger über die vielen Aquarien in den Chinarestaurants! Dem Element Wasser wird nämlich grundsätzlich eine reichtumsfördernde Wirkung nachgesagt. Ein gegenüber dem Eingang installiertes Klosett schafft dagegen permanente Ebbe in der Kasse.
Auch der Kaiser ließ seinen Thron verrücken
Um die Harmonie zwischen dem Kaiser und seiner Umgebung zu erhalten, wurde schon vor mehr als 1.000 Jahren zu jedem Jahreszeitenwechsel sein Thron verrückt. Außerdem existiert nicht ein einziges Chinatown auf der Welt, dessen Planung nicht auf Feng-Shui- Regeln basiert. Auch heute noch, nachdem sich das kommunistische China offiziell von dem alten Volksglauben distanziert hat, wird kein Büroturm, Mietshaus oder Hausboot in Hongkong ohne Feng-Shui-Beratung errichtet.
Der Eingangsbereich eines Gebäudes ist besonders wichtig. So mußte sich der Starachitekt Norman Foster beim Bau der Bank of Hongkong dem Vorschlag eines Feng-Shui-Experten beugen und das gesamte Portal verschieben, damit die Energien ungehindert in das Gebäude strömen können. Aus genau dem gleichen Grund würde eine vor einem Laden in Singapur plazierte Parkuhr nicht eine Nacht überstehen: der Ladenbesitzer hätte sie sofort gefällt.
Das Geschäft mit Feng Shui brummt: Im Laufe des letzten Jahres sind mindestens 15 deutschsprachige Bücher über die chinesische Raumlehre erschienen. In Berlin hat vor wenigen Wochen sogar eine Handlung für diverse Feng-Shui-Waren eröffnet, deren Artikel binnen einer Stunde jedem traditionellen Eichenwohnzimmer das Flair eines Chinarestaurants verleihen könnten: In allen Ecken des Ladens plätschern Wasserspiele, an den Wänden hängen Wasserfallposter und Bambusflöten, die sich angeblich ausgezeichnet dazu eignen, günstige Energien weiterzuleiten. Dazu Halbedelsteine, Aromaöle und anderer esoterischer, nützlicher Kleinkram. Nicht zu vergessen die Windspiele, die – wie man sagt –, an einer strategisch günstigen Stelle installiert, den positiven Energiefluß eines Raumes geschickt umverteilen können.
Doch nicht jeder ist ein Freund von Windspielen, Postern und Flöten. Der Berater Schoeck, der sein Handwerk übrigens bei dem in Kennerkreisen geschätzten Australo-Chinesen Jes T. Lim erlernt hat, verzichtet bei seinen Vorschlägen nicht nur auf jeglichen Chinakitsch, sondern auch „auf den ganzen esoterischen Firlefanz“. Ihm liegt daran, so rational wie möglich mit dem Phänomen Feng Shui umzugehen. Der promovierte Kunsthistoriker will die asiatische Einrichtungskunst vielmehr in unsere moderne westliche Kultur integrieren und bezieht selbst neueste Erkenntnisse aus der Baubiologie, der Harmonie- und Farbenlehre in seine Arbeit ein. Die beschreibt er schließlich als Prozeß, der sich schon mal über Monate hinziehen kann. Denn genauso wichtig wie seine Berechnungen sei der Dialog mit dem Kunden. „Der muß am Ende ja auch ästhetisch damit auskommen.“ Beim Selbstversuch in seinen eigenen vier Wänden konnte er feststellen, daß eine andersfarbige Kerze hier oder ein geschmackvolles Kunstwerk dort ihren Zweck ebenso erfüllen können wie Goldfischgläser und Bambusflöten.
Obwohl sich die Wirkung des inspirierten Möbelrückens, ähnlich wie die der Akupunktur und des Tai Chi, wissenschaftlich nicht begründen läßt, sind die Erfolgsmeldungen imposant. „Veränderst du etwas in deiner Umgebung, so verändert das auch etwas in dir“ – so lautet das Erklärungsmodell des Meisters. Das klingt irgendwie vernünftig. Und von Feng-Shui-Geschädigten hat man zumindest bislang noch nichts gehört. Kirsten Niemann
Buchtips:
Lam Kam Chuen. „Das Feng-Shui- Handbuch. Wie Sie ihre Wohn- und Arbeitssituation verbessern“. Joy Verlag, 1996
William Spear. „Die Kunst des Feng Shui. Optimale Energie durch Gestaltung des Lebensraums“. Knaur, 1996
Lilian Too. „The Complete Illustrated Guide to Feng Shui“. Element Books, Great Britain 1996.
Derek Walters. „Das Feng-Shui- Praxisbuch. Besser wohnen, gesünder leben, erfolgreicher arbeiten“. O.W. Barth Verlag, 1996
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