: Die Regierung ist immer rechts
In Tony Blairs Kabinett sind alle Labour-Flügel vertreten – selbst die während des Wahlkampfs zum Schweigen gebrachte Linke. Ein Staatssekretär für Europa wird noch gesucht ■ Aus London Dominic Johnson
Das britische Parlament hat gegenüber kontinentaleuropäischen Legislativen die Eigenart, daß Parteien keine Stammplätze haben. Die Regierungsfraktion sitzt immer rechts, die Opposition immer links. Mit dem Machtwechsel wandern also die Labour-Abgeordneten von links nach rechts, die Tories gehen den umgekehrten Weg. Orientierungsprobleme sind nicht auszuschließen, vor allem da Labours viele neue Abgeordnete gar nicht alle auf die Regierungsbänke passen und zumindest zur ersten Regierungserklärung am 14. Mai auf die Oppositionsseite überquellen werden. Das Bestreben, das ganze politische Spektrum abzudecken, prägt auch die Zusammensetzung der neuen Regierung.
In Blairs neuem Kabinett sind alle Tendenzen vertreten, und entgegen einigen Befürchtungen macht Blair auch die Parteilinke nicht mundtot, obwohl sie im Wahlkampf zum Schweigen verdonnert war. John Prescott, Vizeführer der Partei und Träger des Gewerkschaftsgewissens, wird Vizepremier mit Verantwortung für Regionalpolitik und die Ressorts Umwelt und Verkehr – zwei der im öffentlichen Bewußtsein problematischsten Bereiche des britischen Alltags.
Die meisten Mitglieder des alten Schattenkabinetts behalten die Ressorts, die sie schon in der Opposition bearbeiteten. Gordon Brown, gefürchteter Wächter über die Haushaltsdisziplin, ist Finanzminister. Robin Cook, schelmischer rotbärtiger Publikumsliebling mit Distanz zur EU-Währungsunion, ist Außenminister. Innenminister ist Jack Straw, bärbeißiger Verbrechensbekämpfer und Verfechter von Ausgangssperren für Kinder in Problembezirken nach US-Muster. Ministerin für Entwicklungshilfe ist Clare Short, deren lautstarke Kritik an Blairs undurchsichtigem Beraterteam als „Männer, die im Dunkeln leben“ ihr Probleme mit dem Chef und Sympathie an der Basis eingebracht hat. Das Gesundheitsressort bekommt Frank Dobson, lebendes Fossil von Old Labour und daher eine Überraschung; Schattengesundheitsminister Chris Smith hat sich angeblich mit Finanzminister Brown zerstritten und muß nun mit dem Kulturressort vorliebnehmen. Harriet Harman, Modernisiererin des Sozialstaates und daher Haßfigur von militanten Rentnern und Lehrern, wird Sozialministerin und erhält als Staatssekretär den Experten Frank Field, der weitreichenden Reformen wie der Privatisierung des Rentenwesens nicht ganz abweisend gegenübersteht. Die Bereiche Arbeit und Bildung leitet David Blunkett, einziger blinder Parlamentarier, der vermutlich in den ersten Wochen der neuen Regierung die höchste Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird: Unter seine Verantwortung sollen ein weitreichendes Gesetz über die Reform des Schulwesens und neue Trainingsprogramme für Langzeitarbeitslose fallen; dies wird möglicherweise die erste umfassende politische Initiative der neuen Regierung vor der Sommerpause.
Nicht ganz zufällig hat Labour mit Europa die größten Probleme. Um das heikle Thema aus dem Parteienstreit herauszuhalten, bot Blair dem Direktor des Ölmultis British Petroleum (BP), David Simon, am Freitag abend den Posten eines Europa-Staatssekretärs im Außenministerum mit Sitz im Oberhaus an. Der neue Außenminister erfuhr davon am nächsten Tag aus der Financial Times, beschwerte sich, und so sucht Blair nun einen neuen Europa-Staatssekretär und für den gedemütigten Simon einen neuen Posten. Die Zeit drängt, denn der neue Staatssekretär soll eigentlich heute zum ersten EU-Ministertreffen auf den Kontinent reisen und da die Europäer durcheinanderwirbeln. Gestern war von Peter Mandelson die Rede – Blairs Chefideologe und Wahlkampfleiter. Sein Vorzug ist wohl, daß er von Europa wenig Ahnung hat, von Ideenvermarktung und komplizierten Hintertreppendeals aber um so mehr. Seine Ernennung wäre ein Zeichen dafür, daß Blair mit der EU fundamental genauso umgehen wird wie Major – als fremdes Wesen, das man entweder beherrschen oder überlisten muß.
Den Tories muß das als Genugtuung erscheinen. Sie warten wohl darauf, daß Labour sich in Brüssel blamiert und sie sich dann als Bannerträger der Nation profilieren können. Während die Suche nach einem Nachfolger John Majors als Parteichef munter weitergeht, rechnete die Sunday Times vor, daß nur 35 der 165 Tory-Abgeordneten als europhil gelten können: Gute Aussichten also für die Rechte. Die Wahl eines neuen Oppositionsführers wird wohl Ende Juni stattfinden.
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