piwik no script img

Keine Sterbehilfe, sondern Einstieg in den Ausstieg

■ Das Hamburger Modell der kontrollierten Abgabe und die Bonner Blockade

Die Hängepartie dauert schon fünf Jahre. Ein Ende ist nicht in Sicht. Im Frühjahr 1992 hatte die Hamburger Landesregierung ihr Modellvorhaben einer versuchsweise kontrollierten Abgabe von Heroin an 200 Schwerstabhängige als Gesetzesinitiative in den Bundesrat eingebracht. Dort erhielt sie Zustimmung. Im Herbst 1993 wurde die Initiative an Bundestag und Bundesregierung weitergeleitet. Seitdem wird das Hamburger Modell blockiert.

SPD, Grüne und Teile der FDP befürworten das Projekt. Doch aus Gründen der Koalitionsräson wollen die FDP-Abgeordneten, die von der Notwendigkeit überzeugt sind, dem Modellvorhaben nicht zustimmen. Sie wollen es allerdings auch nicht ablehnen. Nicht Männlein, nicht Weiblein, sondern etwas Drittes. So wird weiter auf Zeit gespielt, und einmal im Jahr werden die Drogentoten gezählt.

Der Besuch der Schweizer Vorzeigeprojekte, zu dem der Gesundheitsausschuß des Bundestages gestern nach Zürich reiste, gehört zu den taktischen Maßnahmen, um Zeit zu gewinnen und vielleicht doch noch den einen oder anderen CDU-Abgeordneten umzustimmen. Bestenfalls könnte dann – jenseits der Koalitionsdisziplin – eine freie Abstimmung durchgesetzt werden.

Während Bonn mauert, hat die kontrollierte Heroinabgabe in der Bevölkerung überraschend viele Befürworter gefunden. Nicht nur die Mehrzahl der Polizeipräsidenten in den Großstädten sind dafür. In der Sendung „Pro und Contra“ sprach sich eine saftige Zweidrittelmehrheit der Studiogäste – überwiegend kreuzbrave Muttis und Vatis – für eine Erprobung aus.

Aber noch immer müssen Befürworter des Modells richtigstellen, daß es nicht um Freigabe oder Legalisierung geht, sondern um die Erweiterung des therapeutischen Spektrums zugunsten der Behandlung verelendeter Schwerstabhängiger. Die Patienten, die dafür in Frage kommen, hat der Hamburger Drogenbeauftragte Horst Bossong dem Nationalen Drogenrat so beschrieben: „Eine Gruppe von 500 bis 800 teilweise stark verelendeter Junkies stellt uns (in Hamburg) vor große Probleme. Sie sind überwiegend hochgradig chronisch erkrankt, übersät mit eitrigen Abszessen und von parasitären Erkrankungen befallen. Die meisten praktizieren einen extrem chaotischen Drogen- und Mischkonsum. Zum Großteil sind sie obdachlos, ohne jede Chance, eine normale Wohnung zu finden. Sie hängen, teilweise offensiv bettelnd, auf der Straße herum. Ein Teil von ihnen dealt mit Drogen, und nicht wenige begehen in erheblichem Umfang Beschaffungsdelikte. Einige sind ausgesprochen aggressiv gegen Passanten und Wohnbevölkerung.“

Zentrale Frage: Wie kann ihnen geholfen werden? Die ärztlich kontrollierte Abgabe von Heroin wäre, so Bossong, immerhin ein Zwischenschritt: keine Sterbehilfe, auch keine lebenslange Dauerbehandlung, sondern „ein Einstieg in den Ausstieg für jene, die mit anderen Behandlungsmethoden nicht mehr erreicht werden“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen