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Avantgarde mit Plus und Nuß

Fescher Faun, Gentleman in Jägerhosen, schillernder Genußbrummel, Verteidiger der Menschenfresser und dennoch der allerzartesten Regungen fähig: Der Österreicher H.C. Artmann erhält den Büchner-Preis 1997  ■ Von Wilhelm Pauli

„Soll man ihm was aufspielen? Soll man ihn gehörig anstrudeln? Soll man ihm den Himmel voller Geigen behängen?“ fragt es zu Beginn seines Theaterwinzlings „Erlauben, Schas, sehr heiß bitte!“ aus dem Off. Zwar wird nicht mitgeteilt, wer hier anzustrudeln wäre, doch auf dem Häuserl des Jugendstilcafés, Ort der strapaziösen Handlung, steht an die Wand geschrieben: „Der Artmann ist ein fescher faun.“ Ein fescher Faun nach Wiener Art, kein Fruchtbarkeitsgott, ein Fruchbarkeitslackl eher, wie es dem kompromißlos weltlichen Werk angemessen ist, das ist der Meister quasi linkshändig. Er ist aber auch so ein „gutaussehender gentleman in jägerrock und kniehosen, unabhängig und wagemutig...“, wie er einen im Prosatext „Frankenstein in Sussex“ ausschickt. Und dabei ist er jederzeit der zartesten Regungen fähig: „gima dei haund / das e glaub i hoed / a glans woedfogal / en da mein- / a nachtegoe...“ (aus: „drei gedichte fia d moni“).

Allerdings ist der Herr, besonders unter Vollmondeinfluß, auch ein exzellenter Frauenzerleger und -zersäger wie gelegentlich Kinderschänder. Politisch korrekt gibt er sich nicht gerade. Gleichwohl er 1955, als man in Österreich die alte Liebe nicht länger unterdrücken konnte und ein neues Heer hermußte, mit einem brüllenden Manifest aufwartete: „... das ist atavismus!!! / das ist neanderthal!!! / das ist vorbereitung / zum legalisierten menschenfressertum!!! / wir rufen euch alle auf: / wehrt euch gegen diese barbarei! / laßt euch nicht durch radetzky-/ deutschmeister und kaiserjägermarsch / aug und ohr auswischen...“ Vorschneller Zustimmung sei wahrheitsgemäß gewehrt. Heißt es nicht an anderer Stelle: „Bei den Menschenfressern geht alles so einfach – krach schleif schneid brat schmatz! – und der liebe bauch ist lecker sonne...“? (in: „Der handkolorierte Menschenfresser“). Doch wer wollte nicht Verzeihung gewähren, wenn Artmann erst in die schlichten, die Frömmigkeit handgezapften Bieres verströmenden Nachdichtungen religiöser Keltenverse hineinweint: „gern hätte ich / die himmlischen / in meinem haus, / aus vollem kruge / schenkte ich aus... gerne böte ich / einen riesensee / vom besten bier / dem königskönig...“

Ach, der Meister Artmann ist ein vielfarbig schillernder Genußbrummel. Ein viel Herumgezogener, ein leibhaftiger, manche sagen: der letzte Poet, einer, der – so die Legende – tausendundeine Sprache spricht, ein paar dazuerfunden hat und zusätzlich aus dem Dänischen, Englischen, Französischen, Gälischen, Jiddischen, Niederländischen, Schwedischen und Spanischen übersetzt. Einer, der immer auf Reisen, einer, der immer daheim ist. Einer, der nichts ausläßt, mindestens zwanzig Hauptschnäpse wurden gezählt. Zu schweigen von den Damen, die ihn sich nahmen.

Er selbst steckbrieft sich so: Mickey Spillane gelesen, Goethe verworfen, gedichte geschrieben, scheiße gesagt, theater gespielt, nach kotze gerochen, eine flasche Grappa zerbrochen, mi vida geflüstert, grimassen geschnitten, ciao gestammelt, fortgegangen, a gesagt, b gemacht, c gedacht, d geworden (kleiner Auszug). Und von dem P.O. Chotjewitz schreibt: „... daß nämlich Artmann der wahrscheinlich einzige wesentliche Dichter ist, den die deutsche Literatur nach 1945 hervorgebracht hat – allen seither hochgespielten Modebegabungen zum Trotz...“ Ja, verreck!

Jedenfalls einer, der anstieß und aufrührte als Miterfinder der „Wiener Gruppe“ und als poetischer Prozessionist durch Wien, und aufführte – sich und seinen „dracula“ 1966 auf dem Dach des Berliner Europa- Centers beispielsweise. Und der bei uns beinahe als Mundartdichter angelandet wäre. Dank seiner ersten Buchveröffentlichung: „med ana schwoazzn dinten“, grauslich und anrührend schöne Moritaten und Gedichte, wo die Fülle des verkrüppelten Lebens mit der Fülle des unverschämt reichen Dialekts die Stanzeln zum Bersten weitet. Qualtinger hat inbrüstig zur Popularisierung beigetragen. Vielleicht ein Quarterl zu qualtingerös, zumal wir die fremde Sprache ja kaum verstanden haben. Damals.

Ja, das ist halt die Avantgarde gewesen, der Meister Artmann. Was immer uns das heute sein soll: die Avantgarde von damals. Nur: Die von Artmann, wo man auch hineinsticht ins Werk, hat das Plus mit Nuß. Man riecht aus jedem Vers, jedem Prosastückerl, daß ihm das Lust bereitet hat. Daß er seinen Spaß daran hatte. Und Lust und Spaß haben das Zeug so imprägniert, daß es heut frisch ist, wie einst im Mai, und der Leser zu all der Kunstfertigkeit immer noch sein Lust- und Spaßquantum extra kriegt. Nie hat das Experiment die Freude exekutiert. Vielmehr die Freude das Experiment zum formidablen Ergebnis getrieben.

Und dann ist der Meister in einem Punkt seiner (frühen) Zeit so voraus gewesen, daß auch das Früheste heute auf der Höhe unserer ist: Er hat sich bedient. Er hat auf den klassischen Kanon geschissen und sich genommen, was ihm gemäß, in Worten, Gedanken und Werken. Vom Barock bis zum SF- Schmarrn, dem Comicgestammel, der Literatur der Alltagsbanalitäten, dem Detektivheftl. Da ist er so jung wie die jüngsten Wilden aus dem Hause Suhrkamp. Und weiter noch: In „Unter der Bedeckung eines Hutes“ (1974) legt er ein ganzes Büchel voller Geschichten aus süffigen Inhaltsangaben vor. Führt ein komisches Skelett zum Tanz, an das wir unsere fleischige Phantasie hängen können. Praktisch interaktive Literatur.

In einem undatierten Nachwort des 1996 erschienenen plutigen Prachtwerks „Gesang der Hämmer“ ermahnt Urs Widmer: „Er hat zwar viele Polizeistrafen für Kavaliersdelikte (Nachtruhestörung, Widerstand gegen die Staatsgewalt u. ä.), aber keinen einzigen Literaturpreis.“ Das hat sich in den letzten zehn Jahren durchaus geändert. Und jetzt der Büchner- Preis für den beinahe 76jährigen. Aufspielen, gehörig anstrudeln, den Himmel voller Geigen behängen – gewiß. Und tief den Hut ziehen. Vor allem aber wieder mal lesen.

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