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"Die Verbindung zum Stadtteil zählt"

■ Gegner der Bezirksreform beschwören gern die emotionalen Bindungen der Menschen an ihren Bezirk. Doch zumindest viele KreuzbergerInnen sehen ihre Identität nicht durch den Verwaltungsakt gefährdet

Hans Joachim Kohl weiß, was er seinem Wahlkreis schuldig ist. Wenn der SPD-Abgeordnete zur Bezirksreform das Wort ergreift, spricht er vor allem über „die Identität Kreuzbergs“, die „emotionalen Bindungen“ und das „Heimatgefühl“. Seiner Meinung nach ist die Gebietsreform ein „unhistorischer Akt“. Mit einer solch radikalen Neugestaltung werde „zerstört, was in langen Jahren gewachsen ist“.

Rainer Bleiler, für die CDU aus Kreuzberg im Abgeordnetenhaus, erweist dem unbequemen Bezirk ebenfalls seine Referenz. Weil er die Bezirksreform nicht für die Lösung der Berliner Finanzprobleme hält, „legt er sich schon mit seinen Oberen in der Partei an“: „Der Bezirk muß erhalten bleiben.“ Soviel Aufmüpfigkeit zeugt von Kreuzberger Persönlichkeit.

Der bündnisgrüne Bürgermeister von Kreuzberg, Franz Schulz, hatte am Dienstag abend zum Bürgerforum geladen, um mit den BewohnerInnen der südlichen Friedrichstadt über die Bezirksreform zu diskutieren. Nach den Plänen des Senats soll die Zahl der Bezirke von jetzt 23 auf 12 reduziert werden, Kreuzberg mit Tiergarten und Mitte zu einem Haupstadtbezirk zusammengelegt werden. Doch erstaunlicherweise wollten die KreuzbergerInnen nicht so recht beim Aufschrei gegen den von beiden Abgeordneten beschworenen Heimatverlust mitmachen. Allein eine Rentnerin, die seit mehr als fünfzig Jahren in Kreuzberg lebt und „hier die Trümmer weggeräumt“ hat, wollte den Bezirk erhalten sehen, um ihr Heimatgefühl gewahrt zu wissen. Doch ihr wurde prompt widersprochen: Hans Mielke, der seit 1958 in Kreuzberg lebt, verwies auf den Stadtteil Friedenau, der zwischen den beiden Bezirken Steglitz und Schöneberg aufgeteilt ist, und wo sich die Menschen doch auch ihre „Identität“ bewahrt hätten. „Soviel Selbstbewußtsein haben wir doch wohl auch.“

Worin denn ihre Gemeinsamkeiten bestünden, können die meisten KreuzbergerInnen, egal ob zugereist oder alteingesessen, nicht unbedingt sagen. Egal ob man Kreuzberger „Prototypen“ wie den Langzeitarbeitslosen in der Wrangelstraße befragt oder den Rechtsanwalt in der Bergmannstraße, der sich vom Hausbesetzer zum Hausbesitzer gemausert hat die Antworten fallen höchst unterschiedlich aus. Die einen sehen die gemeinsamen Wurzeln des Bezirks in den Hausbesetzungen der achtziger Jahre, die das sozialschwache SO36 und das gehobenere 61 gleichermaßen ausmachten. Andere sehen das Gemeinsame im multikulturellen Nebeneinander oder in einer zumindest behaupteten „Kreuzberger Schnelligkeit“. Einig sind sie sich aber darin, daß kaum eine Verbindung zwischen der Identität Kreuzbergs und dem Zuschnitt des politischen Verwaltungsbezirks bestünde.

Für Birgit Pracht, die vor vierzehn Jahren aus Oldenburg nach Kreuzberg zog, machten den Bezirk Initiativen wie ihr Selbsthilfeprojekt in der Sorauer Straße in SO36 aus. „Kreuzberg ist in den Stadtteilen entstanden, Das sind die Menschen, die hier ihr leben.“ Mit dem Bezirksamt hat das wenig zu tun. Wenn das Selbstbewußtsein des Bezirks jetzt in einer Krise stecke, meint die Vierunddreißigjährige, liege das daran, „daß der Mythos Kreuzberg nicht mehr funktioniert.

Selbst die von Schulz geforderte „Bürgernähe“ hänge nicht von der Größe des Bezirks oder dem Sitz des Rathauses ab. Um das zu belegen, jongliert der Bezirksbürgermeister mit Stellenzahlen und Personalkosten. Doch den Verlust hochbezahlter Verwaltungsbeamter meinen die KreuzbergerInnen verkraften zu können. Hartmut Engelke, der im Kiez am Chamissoplatz wohnt, findet, daß die sich nur durch „dezentrale Bürgerbüros“ schaffen ließe. Engelke: „Was zählt, ist die direkte Verbindung zum Stadtteil.“

Daß die meisten der geplanten Abschaffung ihres legendären Bezirks so gelassen entgegen sehen, erklärte ein Mieteranwalt mit überzeugendem Sarkasmus: „Den Leuten ist egal, welches Amt immer weniger Geld für sie hat.“ Thekla Dannenberg

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