: Keine leichte Zeit mehr
■ Die Mannschaft spielt lahm, ein neuer Trainer muß her: Der Holtzbrinck-Konzern feuert "Zeit"-Chefredakteur Robert Leicht und setzt mit Roger de Weck einen neuen ein. Ziel: Frische Impulse
Konzernchef Dieter von Holtzbrinck hat Erfahrungen im Karussell der Redaktionsleiter. Diesmal griff er hinein: Roger de Weck, 44, erst Ende April als Chefredakteur des Zürcher Tages-Anzeiger zurückgetreten, war sozusagen gerade auf dem Markt. Holtzbrinck zögerte nicht lange: Ab 1.September übernimmt de Weck die Redaktion der Hamburger Zeit (Portrait Seite 11). Chefredakteur Robert Leicht wurde entlassen, soll aber als Autor bleiben.
Am Dienstag erfuhr es die Redaktion, in der bereits Gerüchte kursierten. Von Holtzbrinck nannte auch die Gründe: Frische Inhalte solle der Neue in die betagte Zeit bringen und originelle Impulse. Vor allem aber soll er wohl der Schwindsucht der Auflage begegnen. Von ehemals über 500.000 zu Beginn der neunziger Jahre blieben dem Blatt nach einem beständigen Bröckeln Ende letzten Jahres nur noch knapp über 460.000. Zudem ist die Leserschaft überaltert und für Anzeigenkunden unattraktiv geworden. In der Branche wird gefrotzelt, die Zeit sei das einzige Blatt, das weniger Leser als Käufer hat, und in der Redaktion glauben manche, wenn einstmals die Besinnungsaufsätze der Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff, 87, nicht mehr seien, werde man auf einen Schlag ein Drittel seiner Abonnenten einbüßen. Fest steht, daß die einst verläßliche Werbekundschaft dem Blatt in den letzten Jahren mehr und mehr den Rücken zugekehrt hat. Mit den Gewinnen sieht es längst nicht mehr so rosig aus. Schrieb man in den Achtzigern noch dicke zweistellige Millionensummen in die Bilanz, waren es im letzten Jahr nur noch ein paar Millionen. Jetzt sagt Dieter von Holtzbrinck, die Zeit habe ein großes Potential, in das er investieren wolle. Das hätte er auch früher schon tun können. Dabei ist die Zeit ein Blatt, bei der wirtschaftliche und inhaltliche Krise nah beieinanderliegen. Als der Holtzbrinck-Konzern (Handelsblatt, Tagesspiegel, diverse Regionalzeitungen, Buchverlage Rowohlt, Fischer u.a.) nach dem Tod von Verleger Gerd Bucerius das Blatt vor drei Jahren übernahm, hieß es, man wolle an die Reform der damals schon latent überlebten Zeit-Struktur bedächtig herangehen. Man wolle sich alles erst einmal anschauen, und Robert Leicht, seit 1992 im Chefbüro, warnte davor, stürmisch herumzusteuern. Irgendwie müssen Verlags- und Redaktionschefs dabei die Idee dann wieder ganz vergessen haben, es müsse sich etwas verändern bei der Zeit. Von allgemeiner Lähmung ist die Rede und davon, daß weder Verleger noch Herausgeber, noch der (bisherige) Chefredakteur eine Ahnung haben, wohin die Zeit will. Die Verunsicherung der Eigner und Redaktionschefs scheint das ganze Blatt ergriffen zu haben. Mit Robert Leicht als Chefredakteur war man dem Irrtum erlegen, ein genauer Leitartikler müsse auch eine Redaktion führen können. Unentschlossene Reformversuche wie die Modernisierung des Zeit-Magazins wurden wieder fallengelassen – die ehemals anzeigenträchtige Beilage schlingert als peinliches Halbplagiat herum. Die Werbeagentur wurde gewechselt, weil außerhalb des Abonnentenstamms kaum mehr bemerkt wurde, daß es die Zeit überhaupt gibt. Der Inthronisierung von Sigrid Löffler als Leiterin des früher führenden Zeit-Feuilletons folgte keine umfassende personelle Neuausrichtung. Sowieso kämpfen alle Ressorts mit Altlasten: „Das ist wie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk“, sagt ein Mitarbeiter. Schließlich griff Holtzbrinck zu seinem Allheilmittel für kriselnde Zeitungen: Wenn man inhaltlich schon nichts hinbekommt, muß ein neues Design her, und zwar vom Papst der Zunft, dem Brachialmodernisierer Mario Garcia. Erste Entwürfe lösten Entsetzen aus. Fraglich, ob ein neuer Chef allein richten kann, wozu Verleger, Herausgeber und ein überaltertes Herausgebergremium nicht in der Lage waren. Lutz Meier
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