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Gefährliche Atom-Entsorgung

■ In Rußland sollen atomare Abfälle unterirdisch zur Explosion gebracht werden. Pläne wurden schon vor drei Jahren entwickelt. Greenpeace warnt vor Risiken

Moskau (epd/taz) – Über ein bisher geheimgehaltenes russisches Projekt zur Entsorgung atomarer Abfälle durch unterirdische Atomexplosionen hat die Moskauer Zeitung Iswestija berichtet. Die Pläne sehen danach vor, auf der schon früher für Atomtests genutzten Polarmeer-Insel Nowaja Semlja in 600 Meter tief gelegenen Stollen Atombomben zu zünden. Mit jeder Detonation könnten auf diese Weise bis zu 100 Tonnen abgebrannter Kernbrennstoffe verglast und unschädlich gemacht werden.

Nach Angaben der Zeitung wurde das Projekt 1994 dem russischen Präsidenten Boris Jelzin vom Ministerium für Atomenergie, dem Verteidigungsministerium und dem Obersten Militärinspekteur vorgeschlagen. Es sollte in erster Linie dazu dienen, den Entsorgungsnotstand der russischen Atomflotte zu beseitigen. Bis zum Jahr 2000 würden sich durch die Außerdienststellung atomar angetriebener U-Boote in den Flottenbasen bis zu 300 Tonnen Nuklearabfall ansammeln, „der die umliegenden Regionen in Rußland und im angrenzenden Ausland einer außerordentlichen radioaktiven Gefahr aussetzt“, so hatte der ehemalige Verteidigungsminister Pawel Gratschow Präsident Jelzin im Juli 1994 in einem vertraulichen Schreiben mitgeteilt.

Dem Iswestija-Bericht zufolge stimmten Jelzin sowie fast alle beteiligten Ministerien, darunter auch das Umweltministerium, dem atomaren Entsorgungsprojekt zu. Lediglich das Außenministerium habe sich dagegen ausgesprochen, da Rußland für eine unbegrenzte Verlängerung des Atomteststoppvertrages eintrete. Der Widerspruch des damaligen Außenministers Andrej Kosyrew habe dazu geführt, daß das Projekt zunächst weder weiterverfolgt noch bekanntgemacht wurde.

Beteiligte Wissenschaftler hätten nun die bisherige Geheimhaltung gebrochen, um die Idee international diskutieren zu können, berichtete die Iswestija. Die Methode sei effektiv und bedeutend billiger als die Aufarbeitung oder Endlagerung des Atomabfalls. Ein von der Zeitung zitierter Spezialist sprach von der Möglichkeit, daß Rußland mit den Atomexplosionen Geld verdienen könne, indem es dabei auch Abfälle von Kernkraftwerken aus anderen Ländern entsorge.

Zur Zeit verfügt Rußland nur über eine, inzwischen nur noch bedingt einsatzfähige Wiederaufarbeitungsanlage im Ural. Insgesamt werden nach Angaben der Zeitung nur noch 30 Prozent des im Lande anfallenden Kernbrennstoffes aus Schiffsantrieben und Atomkraftwerken aufgearbeitet.

Nils Boehmer, Nuklear-Experte der norwegischen Umweltorganisation „Bellona“, vermutet, daß der Vorschlag im Westen keine Unterstützung finden wird. Es sei bekannt, „daß es bei unterirdischen Kernexplosionen zu Freisetzungen von Radioaktivität kommen kann“.

Auch Greenpeace Moskau hält das angestrebte Entsorgungsverfahren für außerordentlich riskant. Eine Explosion würde den radioaktiven Abfällen nicht nur neue hinzufügen, auch die Auswirkungen im Erdinneren sind bisher noch nicht erforscht. Unterirdische Sprengungen in der Republik Baschkirien, die chemische Abfälle beseitigen sollten, haben vor Jahren gezeigt, daß die Stoffe trotz gesicherter Stollen nach einiger Zeit ins Grundwasser gelangten. Die Umweltorganisation erinnert daran, daß sich Moskau im September vergangenen Jahres vertraglich verpflichtet hatte, auf atomare Versuche zu zivilen Zwecken zu verzichten. khd

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