Hamburger Vision einer Megacity

SPD-Regierungschef Henning Voscherau lüftet ein Geheimnis: Die Innenstadt soll erweitert werden, um mit Flächenverkäufen die Hafenerweiterung in Altenwerder zu finanzieren  ■ Aus Hamburg Heike Haarhoff

Im Großen Saal des Hamburger Rathauses tummelte sich alles, was in der Hansestadt Rang, Namen und mindestens einen dunklen Anzug hat: Handelskammer, Hafen-, Wirtschafts- und Tourismusverbände begingen am Mittwoch den Festakt zum 75jährigen Jubiläum des höchstvornehmen Hamburger Übersee-Clubs.

Zu Ehren der erlauchtesten aller Lobbys der hanseatischen Reeder und Kaufleute war selbst Bundespräsident Roman Herzog eigens an die Elbe gereist, um per Grußwort zu mehr Weltoffenheit und Toleranz aufzurufen. Da schien Hamburgs Regierungschef Henning Voscherau (SPD) das Ambiente angemessen, den „epochalen Einschnitt“ zu verkünden, der die städtebauliche Entwicklung der norddeutschen Metropole bis zur „Enkelgeneration“ bestimmen soll.

Nach hundert Jahren künstlicher Trennung von City und Hafen soll wieder zusammenwachsen, was in der „Metropole am Wasser“ zusammengehöre: Hamburgs Innenstadt wird ausgedehnt, und zwar wieder in den Hafen hinein, aus dem sie erst Ende des 19. Jahrhunderts verbannt worden war. „Wohnen und Arbeiten am Wasser“, so lautet das Motto für die gigantische neue Hafencity am nördlichen innerstädtischen Elbufer, die mit 103 Hektar Fläche fast so groß ist wie der hansestädtische Binnensee Außenalster.

Voscherau, der das Projekt zusammen mit handverlesenen Senatskollegen und Wirtschaftsbossen jahrelang unter strengster Geheimhaltung vorantrieb, hätte den Zeitpunkt für die Lüftung seines wohlgehüteten Schatzes nicht günstiger wählen können: Im September sind in Hamburg Wahlen. Der Bürgermeister will sich zuvor noch schnell ein bauliches Denkmal setzen, das seinen Ruf als Stadtvisionär begründen könnte.

Dem sozialdemokratischen Regierungschef schwebt ein Dienstleistungszentrum für „Finanzen, Medien, imagepflegenden Tourismus und Kultur“ zwischen Kaimauern und Hafenbecken vor. Hamburg brauche neue Flächen, um „erfolgreich auf die Entwicklungschancen aus EU-Erweiterung und Ostöffnung“ reagieren zu können, so Voscherau. Gegenüber diesem Projekt wirke der 68.000 Quadratmeter große Potsdamer Platz in Berlin, derzeit Europas größte Baustelle, „fast wie ein Sandkasten“, befindet selbst die Nachrichtenagentur dpa.

„Wir brauchen uns vor dem neuen Berlin nicht zu verstecken“, glaubt denn auch der Bürgermeister. Die neue City soll im östlichen Teil des Hamburger Hafens in inselartiger Traumlage bis zum Jahr 2040 entstehen. Sie schließt südlich an die historische und denkmalsgeschützte Speicherstadt mit ihren backsteinroten Lager- und Kontorhäusern an, deren Bau vor hundert Jahren Hamburg den Sprung zum Welthafen ermöglichte.

Die Entwicklung des Hafens, die Senat und Wirtschaft seit drei Jahrzehnten vorantreiben, käme damit zu einem logischen Abschluß: Seit den sechziger Jahren verschiebt die Hansestadt ihren Hafen immer weiter nach Westen – zugunsten kürzerer Wege für die Containerschiffe bis zum Meer. „Da ist es besser“, kommentiert der sozialdemokratische Wirtschaftssenator der siebziger Jahre, Helmuth Kern, die Voscherau-Vision, „die Flächen im Osten aufzugeben und dort Gewerbe anzusiedeln.“

Der Hamburger Senat erhofft sich „viele Milliarden“ Mark Privatinvestitionen. Einige Unternehmen und Betriebe müssen noch innerhalb des Hafens umgesiedelt werden. Die freien Hafenflächen, allesamt im Besitz der Stadt, sollen anschließend in ein Sondervermögen „Stadt und Hafen“ eingebracht und dann schnellstmöglich gewinnbringend verscherbelt werden. Anders kann die Pleite- und Hansestadt – mit einem Gesamtschuldenstand von 200 Milliarden Mark – den bereits begonnenen milliardenschweren Hafenausbau in Altenwerder im Westen Hamburgs zu einem gigantischen Containerterminal mit logistischem Zentrum kaum bezahlen. Denn bis heute fehlt jegliches Finanzierungskonzept für das ökologisch wie ökonomisch umstrittene Großprojekt. „Aus den Veräußerungserlösen“, räumte Bürgermeister Voscherau am Mittwoch denn auch ein, „werden die Erschließung und Maßnahmen des Zukunftsprojekts Altenwerder finanziert“.