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Wer nicht will deichen, der tut streichen

Hamburger Elbdeiche: Baubehörde erwägt zum Ärger von Naturschützern, die Rückverlegung zu stoppen, die in Wilhelmsburg ohnehin heftig umstritten ist  ■ Von Achim Fischer

Da waren's nur noch zwei: An neun Stellen wollte Hamburgs Senat die Elbdeiche rückversetzen, um einen ökologischen Ausgleich für die immer engere Kanalisierung des Stromes zu schaffen. Weltweit einzigartige Süßwasser-Wattgebiete sollten damit erhalten werden. Die zwei kleinsten Projekte wurden realisiert, vier weitere hat der Senat im vorigen Jahr gestrichen, und die restlichen drei stehen nach Informationen der Naturschutzverbände schon auf der Abschußliste.

„Küstenschutz in Hamburg – Deichbau und Ökologie“hatte sich die Baubehörde vor vier Jahren noch 26 Seiten lang hochglänzend gebrüstet. In der Broschüre beschrieb sie die „besonders wertvollen und charakteristischen Biotope“entlang der Elbe und stellte ihr Konzept des „umweltverträglichen Hochwasserschutzes“vor. Anlaß: Die Elbdeiche sollten erhöht werden, im Schnitt um 80 Zentimeter.

Höher heißt auch breiter, zumindest bei Deichen. Bei der geplanten Erhöhung braucht ein Deich fünf bis acht Meter mehr Platz. „Mit Vorrang“wollte die Baubehörde diese Verbreiterung im Binnenland leisten. „Das Deichvorland ist mit seinen Süßwasserwatten und seiner besonderen Fauna und Flora einzigartig und an keiner anderen Stelle ersetzbar. Deswegen wird angestrebt, das Vorland so gering wie möglich in Anspruch zu nehmen.“

Oftmals aber liegen Häuser und Fabriken zu dicht am Deich, die Verbreiterung geht deshalb zu Lasten des Vorlandes. Insgesamt 56 Hektar Landfläche zwischen Deich und Wasser fallen dem verbesserten Hochwasserschutz zum Opfer, berechnete die Baubehörde und versprach Abhilfe: „Als Ausgleich für nicht vermeidbare Inanspruchnahme des Vorlandes wird angestrebt, Deiche an allen dafür geeigneten Stellen zurückzuverlegen.“59 Hektar Ausgleichsfläche für den Strom sollten es werden, versprach Bausenator Eugen Wagner.

Die zwei kleinsten Vorhaben wurden seitdem realisiert: zusammen 3,2 Hektar. Ansonsten beließen es Bausenator und Senat beim Bestreben. Als mehrere Landwirte im vorigen Jahr gegen die Rückverlegungen des Gauerter Hauptdeiches (Ochsenwerder) klagten und in erster Instanz gewannen, strich der Senat das Projekt nebst dreier weiterer schleunigst aus der Maßnahmenliste. Begründung: Die Klagen gegen die Rückverlegung verzögerten die nötige Deicherhöhung um Jahre – und so lange könne man aus Sicherheitsgründen nicht warten. Der Bausenator, so wurde und wird gemunkelt, mußte sich nicht allzu lange überreden lassen. 17 Millionen Mark, hieß es in einem behördeninternen Papier, würde die Stadt beim Verzicht auf die Deichverlegung sparen.

Nach dem Bundesnaturschutzgesetz wäre dieser Rückzieher nicht möglich gewesen. Es schreibt für die Veränderung bis Zerstörung von Biotopen einen entsprechenden Ausgleich vor. In Hamburg aber gelten andere Gesetze, bestätigte das Oberverwaltungsgericht im vergangenen Jahr: „Der Schaffung tidebeeinflußter Vorlandflächen kommt zwar aus Gründen des Naturschutzes eine große Bedeutung zu“, hieß es im Verfahren gegen die Rückverlegung des Gauerter Hauptdeiches. „Nach dem hamburgischen Naturschutzgesetz gelten Hochwasserschutz-Maßnahmen jedoch nicht als Eingriff in die Natur und müssen deshalb nicht durch die Herstellung wertvoller Vorlandflächen ausgeglichen werden.“(siehe Kasten).

Die Naturschutzverbände befürchten, daß jetzt auch die letzten drei Vorhaben ad acta gelegt werden, darunter die zwei größten aller neun geplanten Projekte: an der Spadenländer Spitze am östlichen Ufer der Norderelbe sowie am Spadenländer Busch am gegenüberliegenden Wilhelmsburger Ufer.

Im Fall der Spadenländer Spitze „suchen wir eine einvernehmliche Lösung mit den Grundstückseigentümern, die von der Rückverlegung betroffen sind“, sagte der Sprecher der Baubehörde, Matthias Thiede. Zu den Erfolgsaussichten wollte er sich nicht äußern. Im Fall des Spadenländer Busches stehe eine Senatsentscheidung an.

Nach Informationen der Hamburger Naturschutzverbände gibt es für beide Flächen eine Senatsvorlage. Inhalt: Verzicht auf die Rückdeichungen. „Das wäre fatal. Damit wäre dann das ganze Programm gestorben“, befürchtet Monika Bock. Sie ist Sprecherin eines Bündnisses aller neun Hamburger Naturschutzverbände – vom BUND bis zum Landesjagdverband –, das die eine oder andere Rückdeichung doch noch durchsetzen will. Ganz oben auf der Prioritätenliste: die Fläche auf Wilhelmsburger Gebiet. „Wir sind auf der Insel nicht nur sozial benachteiligt, sondern auch, was das kulturelle Angebot und das Angebot an Grünflächen betrifft“, sagte Harald Köpke vom BUND bei einem Diskussionsabend in Wilhelmsburg.

Die Rückdeichung am Spadenländer Busch könnte den Menschen mehr Luft verschaffen, hofften viele der anwesenden Bürger. Ein entsprechendes Vorbild gibt es schon im Südosten der Insel: das Naturschutzgebiet Heuckenlock, ein urwaldartiger Rest der einstigen Auenwälder mit 700, zum Teil weltweit einzigartigen Pflanzen. Gerade am Spadenländer Busch wären die rechtlichen Voraussetzungen gut: Bis auf zwei Hektar gehört das Gelände ohnehin bereits der Stadt.

Doch die Rückverlegung, das zeigte sich bei dem Diskussionsabend erneut, ist auch unter den Bürgern umstritten, gerade in Wilhelmsburg. „Ich wohne direkt hinter dem Deich“, rief eine Zuhörerin aufgeregt. „Ich lade Sie bei Sturmflut gerne 'mal in mein Wohnzimmer ein.“Die Elbinsel war von der Sturmflut 1962 besonders hart betroffen, die Angst sitzt noch tief.

Die neuen Deiche bräuchten zwanzig Jahre, um sich zu setzen und richtig stabil zu werden, werden Zweifel laut. Peter Möller von der Baubehörde versichert: Der Deich setzt sich in zwei bis drei Jahren, bis dahin bleiben die heutigen Deiche stehen und bieten genügend Schutz. Neuer Einwand: Auf der breiteren Wasseroberfläche entständen höhere Wellen. Auch das, so Möller, ist eingeplant, die Deiche werden an diesen Stellen zusätzlich erhöht. Die Strömung wird sich ändern, prophezeit ein Dritter. Ist bereits berücksichtigt, sagt Möller: „Der rückverlegte Deich bietet eher noch etwas mehr Sicherheit, weil das breitere Vorland einen zusätzlichen Schutz darstellt.“

Es hilft nichts. „Wir sind ein Versaufloch“, brüllt einer dazwischen. Einige halten dagegen: „Die Sicherheit war bisher gewährleistet. Dann können wir auch Vertrauen in die rückverlegten Deiche haben.“Außerdem gehe es nur darum, der Natur ihren ursprünglichen Raum zurückzugeben.

Die Gegner der Deichrückverlegung sind an diesem Abend lauter als die Befürworter, aber nicht zahlreicher. Etwa zehn von rund hundert Zuhörern stimmen gegen die Verlegung. Die Sprecherin des Naturschutz-Bündnisses, Monika Bock: „Wir wollen den Senat dazu bringen, die Projekte noch einmal zu überdenken.“

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