piwik no script img

Mit einer Pflanze im Mund um die ganze Welt Von Ralf Sotscheck

Hochland-Schotten scheinen merkwürdige Urlaubsgewohnheiten zu haben. Jedenfalls ist in sämtlichen Buchläden von Inverness das Überlebenshandbuch der britischen Elitetruppe SAS bis zur Decke gestapelt. Für drei Pfund kann man die fiesen Tricks der Soldaten erlernen. In einem Kapitel verraten sie die „Richtlinien für Auslandsreisen“. Wichtigste Regel: Niemals Fremden in die Augen sehen, niemanden auf Armlänge herankommen lassen und sofort die Straßenseite wechseln, wenn einem jemand entgegenkommt. Damit keiner die Elitesoldaten für Feiglinge hält, erklärt der Autor, SAS-Soldaten seien normalerweise scharf auf jede Art von Rauferei. Seien sie allerdings im Geheimauftrag unterwegs, werde der Feind schon mal geschont.

Das Wichtigste für Reisende ist das äußere Erscheinungsbild: Wer adrett und wohlhabend aussehe, habe es bei ausländischen Behörden leichter. Sieht man jedoch zu wohlhabend aus, kann man in Asien und Afrika gleich den Löffel abgeben: Dort lauern Spitzbuben auf das sauer Ersparte. In Vietnam seien „kleine Ausländer, vor allem Frauen“ besonders gefährdet. Und vor einem Lateinamerika-Urlaub sollte man sich nicht gerade mit ausrangierten Armeeklamotten eindecken, denn Soldaten seien dort recht unbeliebt. Sogar der SAS. In manchen Ländern ist nicht mal den Kollegen zu trauen: Über Namibia heißt es, die Soldaten „schießen erst und fragen später“ – eigentlich ganz wie der SAS, der dafür bekannt ist, niemals Gefangene zu machen. Siehe Lima. Oder Nordirland.

Die SAS-Ratschläge über die Nahrungsaufnahme sind für Schotten besonders wichtig, denn auf diesem Gebiet schrecken die Nordbriten offenbar vor nichts zurück. Ihr Nationalgericht, das Haggis, besteht aus gehackten Lamminnereien, die mit Hafermehl, Zwiebeln und Gewürzen vermischt und im Schafsmagen gekocht werden. Trotz dieser Abhärtung rät der SAS zur Vorsicht, wenn es um unbekannte Pflanzen geht. Trifft man im Ausland hungrig auf ein solches Gewächs, schreite man zu einem einfachen Test, raten die Elitesoldaten: Man darf acht Stunden nichts essen, sondern klemme sich einen Teil der Pflanze unter den Arm. Fällt er während dieser Zeit nicht ab und zeigt er auch keine Fäulniserscheinungen, kann man sich einen Teil der Pflanze getrost auf die Lippen und nach drei Minuten sogar auf die Zunge legen. Dort muß die Pflanze aber eine Viertelstunde verharren. Sodann kaue man das Teilchen sorgfältig und behalte es eine weitere Viertelstunde im Mund – sofern man noch dazu in der Lage ist. Dann erst herunterschlucken.

Nun müssen wieder acht Stunden vergehen, in denen der Körper ständig beobachet wird. Muß man sich nicht ständig erbrechen, darf man sich ein halbes Täßchen des unbekannten Gewächses zu Gemüte führen, sollte danach aber erneut acht Stunden warten: Nach 24 Stunden und 48 Minuten darf man sich also endlich den Magen mit dem Segen des SAS vollschlagen.

Wenn Sie also bei ihrem nächsten Italien-Urlaub an einem sizilianischen Gemüsestand auf eine Gruppe blasser Menschen treffen, die regungslos mit einem Blatt Radiccio im Mund ausharren, können Sie sicher sein, daß es sich dabei um Pauschaltouristen aus Inverness handelt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen