: Beim publicityträchtigen Kräftemessen zwischen Mensch und Maschine mußte sich Schachweltmeister Garri Kasparow gegen den IBM-Computer Deep Blue geschlagen geben. Dabei spielte nicht Deep Blue so genial, sondern Kasparow überraschte mit sein
Beim publicityträchtigen Kräftemessen zwischen Mensch und Maschine mußte sich Schachweltmeister Garri Kasparow gegen den IBM-Computer Deep Blue geschlagen geben. Dabei spielte nicht Deep Blue so genial, sondern Kasparow überraschte mit seiner mäßigen Leistung – und erwies sich als schlechter Verlierer.
Auf Sieg programmiert
„Einfach blamabel und völlig unter seinem Niveau hat Weltmeister Kasparow gespielt“, konstatiert Schachgroßmeister Wolfgang Unzicker, lange Jahre der erfolgreichste bundesdeutsche Spieler auf 64 schwarz-weißen Feldern. Garri Kasparow selbst sah dies nach der entscheidenden sechsten Partie im beisspiellos werbewirksamen Duell mit dem IBM-Computer Deep Blue ähnlich: „Sie können mich als Verlierer abstempeln, und ich verdiene das in einem gewissen Grade sogar“, sagte niedergeschlagen der 34jährige siegverwöhnte Weltmeister und nannte schlicht „meine Fehler“ als Grund für die Niederlage.
Das zum „Weltmeisterschaftskampf“ hochstilisierte Sechs-Partien-Match zwischen dem superschnellen Parallelrechner Deep Blue und dem auch weiter amtierenden Schachweltmeister ist in der Nacht zum Montag mit 3,5 zu 2,5 Punkten zugunsten der Maschine ausgegangen. Doch die entscheidende Frage, ob zumindest auf dem Schachbrett nun die Computer den Menschen ein- und überholt haben, ist wohl nicht beantwortet durch die sechs Partien, von denen drei Remis endeten und die erste Kasparow und die sechste und zweite der Computer gewann.
Mit dem Sieg von Deep Blue sei nichts bewiesen, der Computer sei immer noch nicht in der Lage, in einem großen Schachturnier zu bestehen, urteilte trotzig Verlierer Kasparow. Und weil der Weltmeister tatsächlich den ganzen Wettkampf über sehr bescheiden gespielt hat, könnte er durchaus recht damit haben.
Angesichts der sechsten entscheidenden Partie stehen den Schachprofis geradezu die Haare zu Berge. Kasparow sind in dieser Partie nicht nur Fehler unterlaufen, er hat schon in der Eröffnung regelrecht gepatzt, ist mit seinem siebten Zug in eine in der Schachliteratur durchaus bekannte Eröffnungsfalle geraten, die der Computer nur aus seinem Partienreservoir abzurufen brauchte. Übervorsichtig, wie er im gesamten Match agierte, hatte Kaparow mit seinem zweiten Zug die Caro-Cann-Eröffnung gewählt, einen Eröffnungsweg, den er von sich aus ansonsten nie einzuschlagen pflegt. Die Caro- Cann-Eröffnung führt oft zu ruhigen Stellungen, oft ins Remis. Doch als Kasparow mit seinem siebten Zug einen Springer des Gegners vertreiben wollte, bot er dem Computer die Gelegenheit, diese Figur gegen den Königsbauern zu opfern. Der Rechner konnte so in ein Spiel einlenken, bei dem der gegnerische König frühzeitig auf Wanderschaft gehen muß und das in der Regel in eine Gewinnstellung mündet.
Das Programm von Deep Blue hat allerdings dann diesen weltmeisterlichen Eröffnungsfehler auch konsequent genutzt. Im neunzehnten Zug, nachdem Kasparow seinerseits seine Dame gegen Turm und Läufer hatte tauschen müssen, gab der Weltmeister in ziemlich aussichtsloser Stellung entnervt auf. Er wollte sich von Deep Blue nicht mehr bis zum bitteren Ende vorführen lassen.
Die in New York anwesenden Großmeister waren von Kasparows schneller Resignation überrascht, vermißten wie schon in der zweiten Partie Stehvermögen. Die zweite hatte Kasparow aufgegeben, obwohl sich im Nachhinein noch eine Remisvariante fand. Und auch in der sechsten Partie war der 34jährige nicht mehr bereit, in einer Stellung mit minimalen Chancen noch zu kämpfen. Der gestreßte Kasparow räumte später ein: „Ich habe meinen Kampfeswillen verloren.“
Der Münchner Großmeister Unzicker würde sich denn auch „schämen, wenn ich in einem Bundesligakampf so wie Kasparow in dieser sechsten Partie gespielt hätte“. Dem IBM-Computer sei in den New Yorker Partien wenig abverlangt worden, meint der Altmeister. Die beiden Verlustpartien von Kasparow waren seiner Ansicht nach „eines Weltmeisters nicht würdig“. Für Unzicker hätte der Schachweltmeister mit dieser Form und Spielweise auch gegen zwei Dutzend menschliche Spitzenspieler verloren.
Auch strategisch hat Kasparow nach Ansicht von Unzicker sein Match gegen den Computer falsch angelegt. „Vor allem in der zweiten und sechsten Partie hat er sich auf Eröffnungsvarianten mit lange bekannten Zugfolgen eingelassen.“ Auf solchen ausgetreteten Pfaden, die der Rechner jederzeit aus seinem Speicher abrufen kann, kann die Kreativität, die der Mensch der Maschine voraus hat, eben nicht zur Geltung kommen.
In dem keineswegs weltmeisterlichen Spiel von Kasporow sieht Unzicker „ein Rätsel, auf das ich erst mal keine Antwort habe“. Entweder sei der Weltmeister völlig außer Form gewesen, oder er habe „absichtlich verloren“. Doch gegen letzteres steht die Eitelkeit des 34jährigen, der sich bisher rühmte, der beste Schachspieler aller Zeiten zu sein. Und Kasparows Renommee hat durch sein allzu menschliches Versagen gegen die Maschine gelitten. Als wahren Weltmeister will Wolfgang Unzicker Deep Blue jetzt aber auf keinen Fall sehen: „Der Computer“, so sagt er, „hat in diesen sechs Partien keineswegs weltmeisterliches Schach abgeliefert. Ich glaube immer noch, viele Spitzenspieler können ihn schlagen.“
Jürgen Voges
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