: Belebung eines Mythos
■ Die Geschichte des Berliner Verlagshauses Mosse ist ein Stück deutscher Geistesgeschichte. Heute eröffnet George Lachmann-Mosse die "Mosse-Lectures", eine Vortragsreihe über Öffentlichkeit und Kultur
In Berlins Mitte werden rege Mythen rekonstruiert. Ums Stadtschloß ringt man noch, das legendäre Hotel Adlon am Brandenburger Tor steht kurz vor der Eröffnung, und auch die Friedrichstraße, so sagt man, sei schon wieder „ganz die alte“. Dort, wo früher das Berliner Zeitungsviertel war und sich heute noch taz-Verlag und Springer-Hochhaus recht versöhnlich gegenüberstehen, ist ein von der Öffentlichkeit eher weniger beachteter, dafür aber für die Architektur der Moderne um so bedeutenderer Baumythos wiedererrichtet worden: das von dem Architekten Erich Mendelsohn Anfang der 20er Jahre entworfene Verlagshaus Mosse.
Heute heißt es Mosse-Zentrum und beherbergt eine Druckerei, einen kleinen Verlag, den Vorstand eines Mineralölkonzerns und die germanistischen Institute der Humboldt-Universität. Diese haben nun, dem Genius loci im allgemeinen und dem Mosse-Nachfahren George Lachmann-Mosse im besonderen zu Ehren, die „Mosse- Lectures“ ins Leben gerufen. In diesem Rahmen werden ab heute in unregelmäßigen Abständen Redner aus Politik, Wissenschaft und Kultur Vorträge zum Thema „Die Öffentlichkeit von Kultur“ halten und damit dem Geist des großen liberalen jüdischen Verlagshauses ihre Reverenz erweisen.
Heute verbindet man mit dem Namen Mosse-Verlag vor allem noch das Berliner Tageblatt, das zusammen mit der Vossischen und der Frankfurter Zeitung das strahlende Dreigestirn der großen, liberalen Zeitungen der Weimarer Republik bildete. Theodor Wolff, der seit 1906 Chefredakteur des Tageblatts war, hatte es zu einem der großen Foren gemacht, in dem die kulturelle Öffentlichkeit der jungen Republik um ein neues Selbstverständnis rang. Hier schrieb beinahe jeder, der im kulturellen Leben einen Namen hatte. Alfred Döblin, Gerhart Hauptmann, Alfred Kerr und Stefan Zweig zählten zu den regelmäßigen Mitarbeitern.
Doch sein erstes Geld hatte der Verleger Rudolf Mosse als Wegbereiter der systematischen Werbung verdient. Als Verlagsdirektor der Wochenschrift Die Gartenlaube erfand er dem Plauderblättchen eine Anzeigenbeilage hinzu, die ein großer Erfolg wurde. Bald darauf gründete er die „Annoncen- Expedition Rudolf Mosse“, eine erste Vorläuferin heutiger Werbeagenturen. Das hiermit verdiente Geld steckte er zum Teil in sein Lieblingsprojekt, das von ihm 1871 gegründete Berliner Tageblatt, dessen kritischster Leser er war. Einen gestelzten Artikel des Journalisten Erich Dombrowski hat er einmal so kritisiert: „Das wissen wir ja, daß ihr gelehrten Leute alles besser versteht als unsereins. Aber darauf kommt es gar nicht an. Ich will was lernen aus der Zeitung, will weder Phrasengebimmel noch gelehrtes Besserwissen“, meinte der Verleger.
Nachdem Rudolf Mosse 1920 gestorben war, kam es schon bald zu erbitterten Gefechten zwischen den beiden Erben des Verlagsimperiums, Schwiegersohn Hans Lachmann-Mosse und Neffe Martin Carbe. Ein Konflikt, der den Verlag entscheidend schwächte. In dem immer schärfer werdenden Wettbewerb, vor allem gegen das mächtige Verlagsimperium Alfred Hugenbergs, mußte Mosse bald die Segel streichen: Im Herbst 1932 meldete der Verlag Rudolf Mosse Konkurs an.
Und als es nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zu antisemitischen Demonstrationen vor dem Wohnhaus der Lachmann-Mosses in der Maaßenstraße kam, war die Verlegerfamilie schon auf dem Weg ins Exil. Seitdem lebt George Lachmann- Mosse, der Enkel des Firmengründers, in den USA.
Emeritierter Geschichtsprofessor der Universitäten Madison/ Wisconsin und Jerusalem, hat sich Mosse vor allem mit politischer Symbolik, nationalsozialistischem Alltag, moderner Sexualität und den Antriebskräften von Massenbewegungen beschäftigt. Sein Vortrag, mit dem er die „Mosse-Lectures“ heute abend um 19 Uhr im Atrium des Mosse-Zentrums in der Schützenstraße eröffnen wird, trägt den Titel: „Das liberale Erbe und die national-sozialistische Öffentlichkeit“. Die folgenden Redner werden dann die Gestaltungsmöglichkeiten von Öffentlichkeit durch Kultur und die Frage diskutieren, ob und wie tradierte Ansprüche von Öffentlichkeit und Kultur überhaupt noch zur Geltung gebracht werden können. So wird Peter Glotz über „Die telematische Gesellschaft“ und die Zersplitterung klassischer Öffentlichkeit referieren, Daniel Libeskind, Architekt des neuen Jüdischen Museums in Berlin, berichtet von den Erfahrungen des Architekten im öffentlichen Raum, und der Kulturhistoriker Jost Hermand spricht über öffentliche Redekunst. Der Mythos Mosse-Haus wird also nicht nur verwaltet und rekonstruiert, sondern mit den „Mosse-Lectures“ mit neuem Leben gefüllt. Volker Weidermann
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