: Heilsam, diese brutalen Bilder
■ Kirche und Kino: Diskussionsrunden dachten zum Kirchentag sehr liberal über den Kontakt des Kinos mit dem Bösen nach
Gar nicht zimperlich hatte der Vater zugesehen, wie der ans Kreuz genagelte Sohn nach langem Martyrium starb. Das erlösungswirksame Opfer nehmen noch heute Christen zum Anlaß der rituellen Verspeisung ihres Herrn in Form von Brot („Leib“) und Wein („Blut“) – ein Sujet für Splatterfilme?
„Diese Christen kommen von ihrem Ur-Mythos einfach nicht los“, eröffnete der Medienkritiker Klaus Kreimeier am Freitag seinen Vortrag über „Erlösung und Gewalt“ auf Einladung des Öffentlichkeitsdienstes der Nordelbischen Kirche, der Akademie Nordelbien und des Arbeitskreises Kirche und Kino. Zum Tagesthema „Raubtier Mensch“, das sich durch die zehn Gebote zur Friedfertigkeit zu erziehen sucht, sprach er in der Veranstaltungsreihe „Bilder, Mythen, Movies“ in der Evangelischen Akademie. Zusammenhänge von Erlösung und Gewalt und Hoffnungen der Menschen, sich auch durch das Anschauen brutaler Bilder von eigenen Ängsten befreien zu wollen, beleuchtete Kreimeier unter medienkritischen Aspekten. Daß gerade die Medien durch Gewaltdarstellungen eine Zunahme der Gewalt provozierten, verneinte er: „Gewalt mag böse und des Teufels sein, aber sie ist ein nicht fortzudenkender Bestandteil unserer Kultur. Die Medien spiegeln letztlich nur die Verfassung der Gesellschaft zurück, die sie mit ihren Botschaften beliefern.“ Gefährlich sei es, wenn Politiker im Regelkreis der Medien mit Schuldzuweisungen an Film und Fernsehen von eigenem Versagen abzulenken versuchten. Zudem gefährde politischer Fundamentalismus mit gewalttätigen Erlösungskonzepten demokratische Errungenschaften.
Um die Frage, ob brutale Filme schuld daran sind, daß es immer mehr Gewalt gibt, kreiste die Podiumsdiskussion „Gewalt – Power und Vernichtung“ mit dem Staatsanwalt und Filmkritiker Dietrich Kuhlbrodt, dem Theologen Hans-Martin Gutmann und der taz-Filmkritikerin Mariam Niroumand. Kuhlbrodt stellte von vornherein klar, daß eine Diskussion um Gewalt im Film nur eine Scheindebatte sei, und schlug vor, über reale Gewalt in der Gesellschaft zu diskutieren – sei sie nun physischer, psychischer und struktureller Natur. Auch der Paderborner Theologe Gutmann widersprach der These, daß Gewaltfilme zur Nachahmung anstiften. Sie böten im Gegenteil gerade Jugendlichen die Chance zur Grenzüberschreitung, zu einem „Kontakt mit dem Bösen, der im Alltagsbewußtsein verleugnet wird“. Phantastische Vorstellungen über Aggression und Sexualität in Filmen seien als „Passage-Riten“ durchaus geeignet, Abgrenzung und Orientierung in der jugendlichen Entwicklung hilfreich zu begleiten. Durch die Tendenz zur Verleugnung und Verniedlichung der Gewalt verliere die Kirche die Kraft, das Böse beim Namen zu nennen, und überlasse dies der Filmindustrie.
Den bemerkenswerten Versuch, Bilder vom Bösen lithurgisch zu verwenden, unternahm der Hamburger Pastor Thies Gundlach am späten Freitag abend in der Johannis-Kirche mit dem Film Das Schweigen der Lämmer. „Man muß ein bißchen tapfer sein, aber das Ende des Films kommt so sicher wie das Amen in der Kirche“, tröstete Gundlach das junge Publikum eingangs. Für Betrachtungen über Identität, Selbstbefreiung und das Böse wurde der Film dreimal unterbrochen. So verließen die Jugendlichen weder verängstigt noch brutalisiert nach solcher Erbauung das Gotteshaus. Julia Kossmann
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