: High-noon unter der Quadriga
Das Brandenburger Tor in Schwaden verschmorten Hanfes getaucht: Auf der „Hanfparade '97“ werden 50.000 Besucher erwartet. Das Happening ist unter anderem auch eine politische Demonstration ■ Von Christoph Dowe
Die Love Parade bekommt Konkurrenz: Am 23. August findet in Berlin die „Hanfparade '97“ statt, die nach dem Wunsch der Veranstalter ein „buntes, fröhliches Fest aller Hanffreunde“ und eine „bundesweite politische Demonstration“ werden soll. Wo kurz vorher knapp bekleidete Teens nach Ecstasy-Einwurf ihre stecknadelgroßen Pupillen im Techno- Takt wippen (auch eine politische Demo, wird behauptet), werden zur Hanfparade die Augenlider auf Halbmast gesetzt und auf Reggae-Musik umgeschaltet. Rund um das Brandenburger Tor sollen Bühnen, Verkaufsstände und Veranstaltungszelte aufgebaut werden.
Kurz vor der Ernte im zweiten Jahr des legalen Hanfanbaus in Deutschland soll damit ein Zeichen für die Legalisierung von Hanf als Rohstoff, Medizin und Genußmittel gesetzt werden. Unter dem Motto „Mit Hanf in die Zukunft – Legalisierung jetzt!“ versammeln sich alle Sparten der Hanfbewegung zu einer Demonstration vom Ernst-Reuter Platz bis zum Brandenburger Tor, wo die ausgedehnte Abschlußkundgebung stattfinden wird.
Dem „Bündnis Hanfparade“ gehören inzwischen politische Parteien ebenso an wie hanforientierte Gruppen und Organisationen, Groß- und Kleinhändler, Vertreter von Hanfmedien und andere Hanffreunde. Die Jusos, Grünen und die PDS sind genauso mit von der Partie wie zahllose Grow- Shops oder Initiativen für die medizinische Nutzung von Cannabis. Sogar die „Kirche von unten“ und das „Matthias-Domasck-Archiv“ werden als Unterstützer geführt. Weit mehr als 100 Gruppen stehen inzwischen für das Happening.
Schon jetzt zeichnet sich ab, daß die Veranstaltung ein voller Erfolg werden kann: Mit mindestens 50.000 Besuchern wird gerechnet. Ebensooft wurde die Hanfparaden-Homepage im Internet bereits von Surfern abgefragt (Adresse siehe unten). Hanfparaden-Sprecher Micha Baehr: „Die Veranstaltung scheint sich in Windeseile rumzusprechen.“ Für die Hauptacts auf den zwei Bühnen sind Bands wie die Toten Hosen, die Fantastischen Vier und die Ärzte angefragt, Rausch aus Köln hat bereits zugesagt. Rund hundert Ausstellungs- und Versorgungsstände sollen aufgebaut werden, eine Kinderbetreuung wird eingerichtet. In ein oder zwei Zelten will „Hanfnet“ Vorträge zum Thema anbieten.
Einmal in der Woche trifft sich das 20köpfige Vorbereitungsteam in der Umweltbibliothek in Prenzlauer Berg. Die Luft ist zum Schneiden dick. „Es ist nicht leicht, die verschiedenen Leute an einen Tisch zu bekommen“, sagt Micha Baehr, während im Hintergrund gerade leidenschaftlich über den Standort der Kinderecke debattiert wird. Ein großes Budget steht dem Bündnis nicht zur Verfügung. Zwar sind inzwischen Sponsorengelder in fünfstelliger Höhe akquiriert worden, aber die notwendigen 50.000 bis 70.000 Mark für die Vorbereitung sind noch längst nicht zusammengekommen.
Bei schönstem Frühlingswetter stellte das Bündnis dann eines Aprilsonntags das Paradeprojekt vor. Zwischen Touristenbussen und Bockwurstständen am Brandenburger Tor wird Hanfsekt zu kleinen Häppchen serviert. Amerikanische Touristen verstehen kein Wort und bekommen große Augen, als sie die überdimensionalen Hanfsymbole sehen. „They treat drugs so openly“, ist ihre ebenso erstaunte wie falsche Einschätzung der Drogenpolitik Deutschlands. Ein Polizist vertreibt die ambulanten Würstchenhändler statt der Cannabis-Aktivisten.
Auf dem Podium werden Referate gehalten, Hanf als Genußmittel, Hanf als Medizin, Hanf als Rohstoff. Die Journalisten nippen an Hanfbier und riechen an Döschen mit Pflanzen-Körperpflegemitteln. Jörg Jinetzky vom „Hanf-Blatt“ bringt es knackig auf den Punkt: „Das Hauptproblem an Hanf ist, daß man ihn auch genießen kann.“ Zu Kaisers Zeiten gab's Haschisch noch im Tabakladen, dem kaiserlichen Untertan sei somit mehr Selbstverantwortlichkeit zugetraut worden als den Bundesbürgern. Uwe Kowal stellt die „Selbsthilfegruppe Cannabis als Medizin“ vor. Von Aids bis multiple Sklerose, so erinnert er, könne Cannabis sinnvoll eingesetzt werden. Erst im April hat sich eine Arbeitsgemeinschaft auf Bundesebene gegründet, die Cannabis als medizinisches Therapieelement propagieren will. Und Martin Schöne von „Hanfnet“ will endlich Bilanz ziehen – Bilanz im „Jahr zwei des Hanfanbaus als nachwachsender Rohstoff“.
Freke Over, PDSler im Berliner Abgeordnetenhaus, moderiert das Ganze mit Mikro in der Hand, besser als Wim Thoelke: „So, und jetzt der Fototermin, Jungs, wie versprochen.“ Der PDSler ohne Immunität (aufgehoben wegen Hausbesetzung) wieselt vor dem Podium herum. Die Kameras gehen in Position und Hunderte von bunten Luftballons in die Luft. Jeder einzelne mit einem angebundenen Hanfsamen. Irgendwo im Großraum Berlin werden die Ballons schon wieder runterkommen, mitsamt Samen. Flächendeckender Samenflug, vom Winde verweht. Im Herbst wird geerntet.
Kontakt und Anmeldung: „Hanfparade '97“, Krossener Straße 23, 10245 Berlin, (Mo.-Sa., 16-18 Uhr) Tel./Fax: 294 921 90/-91, Hotline: 01 80-567 23 08
Internet: www.hanfnet.de/Hanfparade
E-Mail: hanfparade6hanfnet.de
Spendenkonto: M. Reiss – Hanfparade '97, Konto Nr. 23013380,
Blz. 100 900 00, Volksbank Berlin
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