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Gardinen mit groben Schemen

■ Gruselnostalgisch: „Stasi City“, ein Totalvideo von Jane und Louise Wilson im stolzen Kunstverein Hannover

Nichts ist so interessant wie Geheimnistuerei. Das fanden wohl auch die Zwillinge Jane und Louise Wilson, bis vor kurzem Gäste des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Berlin. Gepolsterte Türen zum Beispiel, und zwar doppelte, rotierende Karteikartenregister und zugezogene Vorhänge. Ambientes dieser Art fanden sie in mehreren verlassenen Stasi-Behörden. Weil aber die Akten längst weggeschafft worden waren, blieb nur noch die Hardware der konspirativen Sesselpuper: schwarze Telefone mit schweren schwarzen Steckern, Stahlrohrstühle mit bonbonfarbenen Polstern und Schrankwände mit identischen Fernsehern in einer Reihe.

In einem quadratischen Raum des stolzen Kunstvereins Hannover laufen jeweils zwei Projektionen über Eck, nahtlos montiert. Sieht man die eine Doppelprojektion, hat man die andere im Rücken. Sämtliche Aufnahmen sind mit cinematographischer Geduld gefertigt: sanfte Schwenks, Fahrten, Stopps und Schnitte. In der elektronischen Rasterung wirken die warmen Töne wärmer und die kalten stählern. Hier ein akkurat verlassenes Büro, die Schnur ums Telefon gewickelt, dort eine Höhle, in der zerrissenes Papier verstreut ist. Man fährt mit dem Paternoster aufwärts, um in lange Fluchten kahler Flure zu blicken. Über Lautsprecher entfaltet sich ein subtiler Krach; ein gläsernes Flüstern, ein leierndes Rumpeln, unregelmäßig unterbrochen von einem schweren Schlag. Wenn der Sound mit Motiven auf der Leinwand synchronisiert ist – selten –, wird klar, daß es sich um das Blinken einer defekten Neonröhre, das Geräusch des Paternosters und die Mechanik einer Spiegelreflexkamera handelt. Es sind die einzigen hörbaren Geräusche.

Eine der beiden Projektionen erweist sich eher als die Vorderseite, vielleicht weil sie mit dem Paternostermotiv eine gewisse Geschwindigkeit hat; die Rückseite aber trägt ein unheimliches Element: eine schwebende Figur in einem Trainingsanzug. Wenn die Füße im Bild sind, glaubt man, sie sei erhängt. Dann bewegen sie sich. Dann bewegt sich die Kamera, man sieht die rötliche Figur in einem rötlichen Raum. Weder hängt sie, noch steht sie. Offensichtlich haben die Wilson-Sisters an den fliegenden Hysterikerinnen in der großen Fototafel von Anna und Bernhard Blume Gefallen gefunden und das Motiv ausgeliehen.

Das Ganze ist auf gar nicht unangenehme Weise mysteriös, sehr rhythmisch, betörend repetetiv. Man wundert sich ein wenig über Gardinen mit groben graphischen Schemen, die es in Westdeutschland vor zwanzig Jahren auch gab. Am Ende ist man den britischen Künstlerinnen noch dankbar, daß sie einen so schönen, schwierigen Film gemacht haben über eine so abscheuliche Institution. Vielleicht demnächst mal etwas aus dem Gefängnis?

Die Videoinstallation ist flankiert von zwei weiteren Räumen, die einige der Drehorte in großen farbigen Stills zeigen. Die gepolsterten Doppeltüren wurden als „Filmset“ nachgebaut. So ließe sich der Stasi-Komplex, bei großer Sehnsucht nach plumper Repression, beizeiten nachbauen. Nur der Geruch, ist zu befürchten, hat sich für immer verflüchtigt. Ulf Erdmann Ziegler

Jane und Louise Wilson: „Stasi City“. Bis 1. 6., Kunstverein Hannover. Danach: Kunstraum München, Centre d'Art Contemporain, Genf, und DAAD, Berlin

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