: Global Players im Nahverkehr
Private Konzerne aus aller Welt erobern die staatlichen Dienstleistungsbranchen. Deutsche Firmen spielen kaum eine Rolle ■ Aus Hamburg Florian Marten
Der Kampf um den Nahverkehrsmarkt ist in Europa in vollem Gange. Während in Deutschland die am 1. Januar 1996 verwirklichte Bahnregionalisierung und Reform des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) erst allmählich zu Veränderungen führt, erlebt die europäische Nahverkehrsbranche derzeit die vielleicht größte Revolution seit dem 19. Jahrhundert: Mailänder in Kopenhagen, Amis in Groningen, Briten in Finnland, Franzosen in Großbritannien.
Im Großraum Kopenhagen hat jüngst ein Konsortium des italienischen Fahrzeugherstellers Ansaldo zusammen mit einer Tochtergesellschaft der Mailänder Verkehrsbetriebe den Zuschlag für einen Teil des Nahverkehrs auf der Schiene erhalten. Linjebus, das zweitgrößte schwedische Busunternehmen, hat in den letzten Jahren systematisch belgische Busunternehmen aufgekauft und kontrolliert mittlerweile 30 Prozent des Busverkehrs in Flandern.
1996 gewann der französische ÖPNV-Großcarrier CGEA, pikanterweise ein Tochterunternehmen des Wasserversorgungsgiganten Générale des Eaux, in Großbritannien die Ausschreibung für zwei große, früher von British Rail betriebene Eisenbahnnetze. Die CGEA hat zudem längst eines der größten portugiesischen Busunternehmen übernommen und streckt vorsichtig, zunächst noch durch Minderheitsbeteiligungen, die Fühler nach dem deutschen Markt aus. Weit massiver weitet die englische Busgruppe Stagecoach ihr Imperium aus. Schon heute dank der Übernahme von Schienennetzen der British Rail zum zweitgrößten Verkehrsunternehmen Großbritanniens aufgestiegen, hat Stagecoach jetzt den bis dahin staatlichen schwedischen Marktführer Swebus übernommen. Mit seinem Engagement in Großbritannien, Schweden, Finnland, Dänemark, Malaysia sowie einigen Großstädten Südamerikas ist Stagecoach einer der ersten „Global Players“ im künftigen Weltmarkt des öffentlichen Nahverkehrs.
Der Weltwirtschaftskrieg der Telekommunikationsgiganten sorgt medienprominent für Schlagzeilen und füllt die Anzeigenseiten. Die Kämpfe um Wasserversorgung, Müll und öffentlichen Nahverkehr, obwohl kaum weniger bedeutsam, finden fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Dabei sind die Spielregeln immer die gleichen: Monopole für Dienstleistungsnetze, bislang in der Hand bürokratisierter Staatsunternehmen, die ihren Belegschaften in der Regel überdurchschnittliche Gehälter zahlen, ihre Kunden schlecht behandeln sowie wenig effizient arbeiten, werden von kostengünstigeren Privatunternehmen attackiert, die es vor allem auf die Rosinen der alten Monopolkuchen abgesehen haben.
Der Kampf um Lizenzen, Fusionen, bunt gemixte Konsortien und eine wachsende Internationalisierung kennzeichnen den Beginn eines völlig neuen Nahverkehrszeitalters. Dabei wird teilweise mit überaus harten Bandagen gekämpft. Als in Bayern die private Deutsche Eisenbahngesellschaft (DEG) im Rennen um den zukünftigen Betrieb der Oberlandbahn lag, soll laut Süddeutscher Zeitung die Deutsche Bahn AG gezielt falsche Gerüchte in Umlauf gebracht haben, nach denen es um die finanzielle Verfassung der DEG-Mutter Agiv nicht gut bestellt sein sollte. Die DEG erhielt dann dennoch den Zuschlag.
Erfolgreicher operierte die DB in Berlin: Als bekannt wurde, daß die Daimler-Benz AG Interesse hatte, die Berliner S-Bahn zu übernehmen, wurde Daimler unter der Hand bedeutet, sie sollen die Finger von S-Bahn-Netzen in Deutschland lassen, falls sie weiter Loks und Schienenverkehrstechnik an die Deutsche Bahn verkaufen wollen.
Dabei rechnet die DB AG selbst damit, daß künftig mindestens 20 Prozent allein des Schienennahverkehrs europaweit ausgeschrieben werden. Ab 1998, wenn die Mehrzahl der Übergangsverträge zwischen Ländern und der DB AG in Sachen Nah- und Regionalverkehr ausläuft und die Städte den ganzen Umfang ihrer neuen Möglichkeiten im Einkauf von ÖPNV-Leistung begriffen haben, wird auch Deutschlands noch weitgehend heile ÖPNV- Welt in Bewegung geraten.
Sorgen macht ÖPNV-Insidern, daß die deutsche Nahverkehrsbranche sich bislang kaum auf die neuen Zeiten eingestellt hat. Da wird trotz aller Modernisierungsbehauptungen zumeist weitergewurstelt wie gehabt. Und ein deutscher European oder gar Global Player ist bislang nicht in Sicht.
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