: Die CIA sucht nach der Corporate Identity
Dieser Tage wird der neue Direktor des US-Geheimdienstes CIA vom Senat bestätigt – der fünfte in fünf Jahren. Die CIA steckt seit Jahren in der Krise. Jetzt steht die Behörde vor einer schwierigen Neuorganisation ■ Aus Washington Peter Tautfest
„Wir müssen die Produktion so reorganisieren, daß wir durch Herstellung von Querverbindungen und Einbeziehung von betrieblichem und wirtschaftlichem Know- how eine Wissensbasis als Bestandteil des Produktionsflusses für unsere Kunden bereitstellen.“ Hä? Ja, ganz recht, denn „es gibt wenige Bereiche, in denen Technologie eine derart hervorragende Rolle dabei spielen kann, unserem Kunden ein noch wertvolleres Produkt anzubieten“. Da redet niemand vor einer Aktionärsversammlung oder in einem Aufsichtsrat, sondern John C. Gannon, derzeitig Vizedirektor der CIA, auf einem Symposium über die Zukunft der Geheimdienste.
Daß die CIA eine „neue Corporate Identity“ braucht, findet auch der Geheimdienstausschuß des Repräsentantenhauses in seinem 1996 vorgelegten Bericht „Nachrichtendienste für das 21. Jahrhundert“. Und auch der Untersuchungsausschuß über die Zukunft der Nachrichtendienste im 21.Jahrhundert, der sogenannte Brown-Rudman-Ausschuß, denkt in betriebswirtschaftlichen Kategorien: „Der wachsende Personalkostendruck verhindert notwendige Investitionen in moderne Technologie und Innovationen.“
Die CIA sucht ein neues Image und neue Aufgaben. In diesem Jahr wird die Agentur 50 Jahre alt, doch zu keinem Zeitpunkt ihrer Geschichte steckte sie derart in der Krise wie heute. Mit George Tenet, der dieser Tage vom Senat bestätigtwird, bekommt sie den fünften Direktor in ebenso vielen Jahren. Ständiger Führungswechsel und die Suche nach einem neuen Profil sind Probleme einer Behörde, die keinen guten Ruf und eine unsichere Zukunft hat – und das liegt nicht nur am Ende des Kalten Kriegs.
Da kommt es der CIA sicher gelegen, daß sie just in den Tagen der Anhörung George Tenets vor dem Senat in einem Skandal entlastet wird, der die Öffentlichkeit mehr erregt hat als manch andere dunkle Geschichte des Geheimdienstes. Der Vorwurf, die CIA habe die Droge Crack in die Schwarzenviertel gebracht, ist vom Tisch. Vor zehn Tagen übte die San José Mercury News in einem aufsehenerregenden Leitartikel Selbstkritik. Sie hatte im Sommer letzten Jahres unter der Überschrift „Finstere Allianz“ eine Artikelserie veröffentlicht, die zu einem Sturm der Entrüstung vor allem unter der schwarzen Bevölkerung von Los Angeles und zu einer Untersuchung führte. Die CIA, hieß es, habe die Drogengeschäfte von Kokaingroßhändlern mit Straßengangs gedeckt, aus deren Erlösen der schmutzige Krieg gegen das sandinistische Nicaragua finanziert wurde – und damit die Crackepidemie überhaupt geschaffen. Chefredakteur Jerry Ceppos gestand nun ein, daß die Serie mangelhaft recherchiert und die beweise gegen die CIA nicht lückenlos seien.
Das Sündenregister der CIA aber ist lang. Die Vorwürfe aus der jüngsten Vergangenheit der Behörde reichen von Menschenrechtsverletzungen (Guatemala) bis zu Spionagetätigkeiten in befreundeten Ländern (Frankreich). Die Berichte der CIA seien politisiert worden, so ein anderer Vorwurf, damit genau das drin steht, was ihre „Kunden“ hören wollten – so wurde etwa jahrelang Rüstungs- und Wirtschaftspotential der UdSSR übertrieben, die Hinweise auf die bevorstehende Aggression Iraks gegen Kuwait hingegen wurden unterschätzt. Schließlich wurden in den letzten Jahren gleich zwei Doppelagenten in der CIA entdeckt: Aldrich Ames und Harold Nicholson haben jahrelang Geheimnisse an die Sowjets beziehungsweise die Russen verraten.
Verteidiger der CIA machen geltend, daß nur die schlechten Nachrichten Schlagzeilen machen, die guten hingegen geheim oder unbeachtet bleiben. Manche „Erfolge“ der CIA aber erscheinen aus historischer Perspektive sehr zweifelhaft. Das heutige Regime im Iran etwa kann man durchaus als Spätfolge des CIA-unterstützten Putsches gegen die Regierung Mossadegh 1950 sehen, und die gegenwärtige Tragödie im Kongo geht auf die Einsetzung Mobutus mit Hilfe der CIA 1965 zurück.
In den Anhörungen George Tenets und in den Strategiepapie- ren, die sich mit der Krise der CIA beschäftigen, entsteht das Bild einer Agentur, die nach neuen Betätigungsfeldern und Methoden sucht, ohne die alten ganz aufgeben zu wollen. Tenet selbst stellt zunächst die „usual suspects“ und „hot spots“ zusammen: Iran & Irak, China & Korea; das instabile Rußland und der Krisenherd Balkan. Bei Rußland hebt Tenet gleich eine Gefahr hervor, die auf eins der neuen Betätigungsfelder der CIA verweisen: die russische Mafia.
Globale Kriminalität, Terrorismus, Waffen- und Drogenhandel sowie Geldwäsche sollen der CIA neue Arbeitsgebiete liefern. Neu in der Aufgabenliste sind die sogenannte informationelle Kriegführung, das Nachrichtensammeln über und die Abwehr von Computerviren und -hackern. Auch von Umwelt- und Wirtschaftsspionage ist die Rede. „Wenn die Russen Atommüll ins Eismeer kippen, ist das eine Bedrohung für die Sicherheit der USA“, stellt der Ausschußbericht des Repräsentantenhauses fest. Wirtschaftsspionage aber ist umstritten, wendet sie sich doch gegen den Grundsatz des Freihandels – und gegen befreundete Nationen.
Die neue CIA will vor allem aber neue Arbeits- und Organisationsmethoden einführen. Von ihren ursprünglichen drei Aufgaben, Nachrichtendienst, Analyse und geheime Operationen, machten in den ersten 25 Jahren James-Bond- Aktionen und schmutzige Kleinkriege 50 Prozent der Tätigkeiten und des Haushalts aus, heute nur noch 5 Prozent. Nachrichten aber stammen ohnehin zu 90 Prozent aus jedermann frei zugänglichen Quellen und können von nichtstaatlichen Institutionen, privaten Unternehmen und Einzelpersonen ebenso gut gesammelt wie ausgewertet werden. Auf die CIA kommt „Outsourcing“ zu. Die Strategiepapiere zur Zukunft der CIA sprechen denn auch von Partnerschaften mit der Privatwirtschaft.
Die Arbeitsweise der CIA müsse sich deutlich ändern, sagte John C. Gannon auf dem Symposium. Aber die Vision, die er dann von einer integrierten Informationsstruktur entwirft, liest sich wie die Neuerfindung des World Wide Web, und die Tücken der Technologie, die die CIA meistern werde, sind jedem Internet-Surfer wohl vertraut: „Information Overload“. CIRAS heißt das Zauberwort: Corporate Information Retrieval and Storage System. Das klingt, als stehe die CIA vor dem inzwischen jedem mittelständischen Betrieb bekannten Problem der Entwicklung eines hauseigenen Informationssystems (Intranet) und dessen Verbindung mit den Kunden durch Direktleitung und Internet: Für jeden Kunden die Information, die er braucht, wann er sie braucht – (JIT) Just In Time.
Und so wird künftig ein ganz normaler Arbeitstag eines CIA- Agenten aussehen: Ein Nachrichtendienstler, der im Hauptquartier zum Beispiel der Balkan-Einheit zugeteilt ist, tauscht über eine geheime Datenleitung mit Soldaten und Kommandeuren vor Ort Nachrichten und Informationen aus, zieht per E-Mail und Videokonferenz die Meinung und das Material anderer Abteilungen des Hauses, der anderen Geheimdienste sowie des Verteidigungs- und Außenministeriums zu Rate. Seine Analyse geht in Form von überarbeiteten Lageplänen und Karten zurück an die Kommandozentrale der Einsatztruppe und steht den Kommandeuren zur Verfügung.
Der CIA stehen Umwälzungen ins Haus, sie muß sich reformieren und steht dabei unter doppeltem Druck: Die Last ihrer Geschichte und der Kostendruck. Diese Neugestaltung wird mehr bedürfen als betriebswirtschaftlichen Neusprech und die Vision von einer offeneren Informationsinfrastruktur.
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