: "Beim ersten Lärm schießen wir"
■ Erst gestern schienen die Einwohner Kinshasas verstanden zu haben, daß die Ära Mobutu zu Ende ist. Da wurde gefeiert. In den Nächten zuvor wurden alte Rechnungen beglichen
Kinshasa atmet auf. Am Montag morgen ziehen die Menschen singend, Palmzweige schwingend und tanzend durch die Stadt. Es scheint, als ob sie erst jetzt so richtig verstünden, was ihnen geschehen ist. Mobutus Ära ist zu Ende.
In der Kaserne von Thatsi drängeln sich Soldaten, die ihre Waffen abgeben wollen. In den Straßen demonstrieren Studenten. Schließlich versucht ein Teil, die französische Botschaft zu stürmen. Ein Student ruft: „Frankreich hat Mobutu gestützt. Sie haben uns das Leben schwergemacht, jetzt werden schwere Zeiten auf die Franzosen zukommen!“ Fast scheint es, als ob sich die Spannung der vergangenen Wochen, nach dem Schock und der Furcht der letzten Tage, in Aggression und Freude Luft macht.
„Wir wollen, daß, wo immer Mobutu und sein Sohn Kongolo sind, diese Länder die zwei an uns ausliefern. Sie sind Mörder und sollen sich hier verantworten!“ ruft ein Mann auf der Straße. In der Nacht auf Samstag hatte die Nachricht, daß der Verteidigungsminister und Armeechef General Mahele tot ist, Schrecken verbreitet. Er war es, der die Stadt friedlich an die Rebellen übergeben wollte. Er gehörte zu jenen Generälen, die Mobutu davon überzeugt hatten, daß seine Zeit abgelaufen ist. General Mahele sei in der Nacht in einen Hinterhalt der Präsidialgarde DSP geraten und umgebracht worden, besagen die Gerüchte. Er habe mit der Allianz Kontakt aufgenommen, um die Übergabe der Stadt zu regeln.
„Es war Kongolo, Mobutus Sohn, der ihn umgebracht hat. Wir nennen Kongolo Saddam Hussein“, sagt ein Mann, der nahe des Flughafens wohnt. „Waren Sie schon am Flughafen? Dort haben wir die Soldaten der DSP bei lebendigem Leibe verbrannt, die, die uns über Jahre hinweg terrorisiert haben. Die ganze Straße ist voller verbrannter Leichen!“ Auf dem Weg zum Flughafen liegen an jeder größeren Kreuzung verkohlte Leichen, die Luft stinkt nach verbranntem Fleisch, und um die rauchenden Haufen steht eine Menge Zuschauer. Für sie ist dies wohl ein symbolischer Akt, mit ihren Peinigern ein für allemal Schluß zu machen. Ein Zeichen dafür, wie tief der Haß steckt. Jetzt werden alte Rechnungen beglichen. Bis am Sonntag abend hatte das zairische Rote Kreuz rund 200 Leichen geborgen. Sie sind nicht im Kampf gefallen. Die Opfer sind die, die sich nicht absetzen konnten.
Frühmorgens am Samstag waren die ersten Schüsse gefallen. Die Straßen waren ausgestorben. Die Wagenkolonne von Kongolo Mobutu raste den leeren „Boulevard des 30 Juin“ runter, dazwischen ertönten immer wieder Schüsse. Die in verschiedenen Quartieren Kinshasas gebildeten Selbstverteidigungskomitees sollten Übergriffe marodierender Soldaten verhindern, erzählt Pierre Mabeluanga, Präsident der Christdemokraten in Kinshasa: „Wir werden hinter verschlossenen Türen auf die Plünderer warten. Beim ersten Lärm werden wir schießen. Die draußen wissen ja nicht, wie viele hinter dem Tor auf sie warten. Dies ist die einzige Art, Plünderer abzuhalten.“
Bei den ersten Plünderungen einige Tage zuvor aber waren die Komitees nicht zur Stelle. „Solidarität ist etwas, was wir den Leuten erst ins Bewußtsein bringen müssen“, sagt Mabeluanga. „In unserer Situation schaut jeder zunächst auf sich selbst. Wer nichts zu verlieren hat, kann auch nichts verteidigen.“
Die Nachricht, daß nun auch Mobutus Sohn geflüchtet ist, entspannte die Lage am frühen Samstagnachmittag. Premierminister Likulia rief die Soldaten auf, ihre Waffen niederzulegen und sich in die Kasernen zurückzuziehen. Dann setzte auch er sich ab. An allen Ecken der Stadt begannen Zivilgardisten und Soldaten hinter Kiosken und in Hauseingängen ihre Uniformen auszuziehen. Einige wickelten ihre Waffen in die ausgedienten Kleider und übergaben diese Freunden, Bekannten oder Wächtern. Die Munition warfen sie weg und machten sich auf den Heimweg. Jene, die die Waffen behielten, banden weiße Stoffstreifen um die Gewehrläufe, legten weiße Stirnbänder an, viele davon beschriftet mit „Kabila Befreier“.
„Wir warten alle auf Kabila. Wir möchten ihm eine ruhige, geordnete Stadt übergeben“, sagte ein Zivilgardist. Er verschwieg, daß die Zivilgardisten bereits in den Morgenstunden in einigen Wohnungen in der „Ville blanche“, dem Geschäftsviertel Kinshasas, ihre „Arbeit“ getan hatten. Agnes kam morgens um zehn völlig aufgelöst und am ganzen Leibe zitternd ins Hotel „Memling“, das als sicherer Hafen galt, weil da die Mehrheit der internationalen Presse lebt, und erzählte: „Morgens um sieben waren sie da, sie haben alles mitgenommen, was Wert hatte, jetzt kann ich wieder von vorne anfangen. Wann wird das bloß ein Ende haben?“ fragte sie flehend. Niemand konnte ihr eine Antwort geben.
Eine Kolonne von rund hundert Soldaten zog diszipliniert den großen Boulevard entlang, in Richtung Gombe, des Botschaftsviertels. „Wenn das die Rebellen sind, dann gute Nacht“, kommentierte ein deutscher Geschäftsmann, der sich auch ins Hotel gerettet hatte. Die leichtbewaffneten Soldaten auf dem Boulevard waren aber keine Rebellen, sondern Einheiten der Präsidialgarde DSP, die sich auf das Botschaftsviertel zubewegten. In Diplomatenkreisen begann man sich Sorgen zu machen. Der Geschäftsmann erzählte, in seinem Nobelviertel Binza seien Einheiten der DSP dabei, massiv zu plündern. Die Präsenz der Rebellen war verschwindend klein, ein Vakuum war entstanden. Alle Armeeführer hatten sich inzwischen abgesetzt und ihre Truppen sich selbst überlassen.
Die Frequenz der Schüsse nahm mit der Dunkelheit zu. Ein Diplomat erzählte: „Die Plünderer waren meist unsere eigenen Wächter. Als die Nacht einbrach, zogen sie sich die Uniformen aus und machten sich ans Werk. Die meisten Häuser, die geplündert wurden, waren allerdings nicht bewohnt.“ Einige Deutsche, die in der näheren Umgebung der deutschen Botschaft leben, wurden vom Sicherheitsdienst der deutschen Botschaft evakuiert und verbrachten eine lange Nacht hinter den sicheren Mauern des Botschaftsgeländes.
Am Sonntag ist Kinshasa ruhig. Es ist ein heißer Tag, aber es ist nicht nur die Hitze, die die Leute in den Häusern warten läßt. Noch steht die Stadt unter Schock. Die Truppen der Rebellen fahren mit Lastwagen in die Stadt ein. Im Botschaftsviertel von Gombe macht eine Kompanie halt. Die Soldaten sehen müde aus. Sie strecken ihre Beine weit von sich und bitten um Zigaretten. Ein junger Soldat erzählt lächelnd und mit verhaltenem Stolz, er sei von Bukavu aus, der Hauptstadt der Provinz Süd- Kivu im Osten des Landes, zu Fuß nach Kinshasa gekommen: In sieben Monaten haben diese Soldaten also rund dreitausend Kilometer zurückgelegt, auf schlechten Straßen und durch den dichten Regenwald, von dem alle dachten, er würde die Rebellen stoppen.
Ein Jeep mit höherrangigen Militärs hält vor einem Haus mit privaten Sicherheitsleuten. Ein Wächter erzählt später: „Die haben mich gefragt, ob ich ihnen später die Stadt zeigen könne. Sie kennen niemanden hier, und sie sind fremd in der Stadt. Sobald ich meinen Dienst beendet habe, werde ich sie durch Kinshasa führen.“
Am Montag sind alle zurück bei ihrem Tagesgeschäft. Die junge „Demokratische Republik Kongo“ fordert auch die Botschafter zurück an den Arbeitstisch. In der Stadt wird wieder gearbeitet, die Läden sind geöffnet. Aber es ist ein deutliches Stöhnen zu hören: „Der Dollar ist bloß noch sechzigtausend Zaire wert. Wie soll denn das weitergehen?“ fragt eine Frau. Bis zum Wochenende tauschen die Geldwechsler den Dollar zum dreifachen Kurs, die Preise aber sind gleich geblieben.
Auf der Pressekonferenz antwortet der Vizepräsident der AFDL, Déogratias Bughera, auf die Frage, wann das Land zur Normalität zurückfinde: Das kann ein, zwei oder auch zehn Jahre dauern. Andrea König, Kinshasa
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen