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Leichen und jede Menge Wein im Keller

Ein Bericht zur Großwetterlage der Nation, Klimakatastrophe inklusive: Tom Kühnel und Robert Schuster inszenierten Matthias Altenburgs Theatererstling „Alles wird gut“ als Uraufführung im Schauspielhaus Bremen  ■ Von Christoph Köster

Der Schriftsteller Matthias Altenburg hat sich einen neuen Feind gemacht. „Mist! So ein Schund!“ rief ein Hitzkopf im Parkett des Bremer Schauspielhauses, als die hundertminütige Uraufführung vorüber war. „Alles wird gut“, das erste Theaterstück des Zeit-Kolumnisten und literarischen Bitterbösewichts Matthias Altenburg, wurde unter der Leitung des Berliner Regieduos Tom Kühnel und Robert Schuster gezeigt.

Was hier als „Schund“ bezeichnet wurde, ist letztlich ein Bericht zur Großwetterlage der Nation. „Während die Zeit vergeht, bleibt sie stehen“, heißt es in der Szeneriebeschreibung. Die Temperatur: „gefühlt“ 37,2 Grad, der Luftdruck: stark fallend – die Klimakatastrophe ist über das Land gekommen und ereignet sich am Vortag zum 50. Geburtstag des Schriftstellers Kraus. Da steigt die Spannung, und der Blutdruck auch – allein, im Bremer Schauspielhaus bleibt es trotzdem seltsam kühl.

Unter der Stuckdecke ein Philodendron, wuchernd wie auf einem Bild Henri Rousseaus (Bühne: Jan Pappelbaum). Schon zu dessen Zeiten, spätestens zu denen Hindenburgs, muß er mannsgroß gewesen sein. Hier wächst er als Metapher für den Gedankenballast, den ein Intellektueller wie Kraus mit sich herumzuschleppen hat. Dem „anschwellenden Bocksgesang“ des Botho Strauß setzt der beim Reden ständig lachende und beim Schreiben stets gemeine 38jährige Altenburg den Typus des geistigen Amokläufers entgegen. Mit Leichen und vor allem jeder Menge Wein im Keller schwadroniert Kraus in den viel zu langen Tag hinein. „Ich habe den Orient in meinem Herzen. Ich bin ein Neger!“ sagt er und braucht als Alt-68er keine Autorität. Matthias Altenburg ist kein Klischee zu billig und keine Metapher zu plump. Er reitet nicht bloß drauf rum, sondern klont sie gar.

Da ist das Zwillingspaar geiler alter Tanten, die als untote Erbmasse durch die Villa spuken. Da ist das kurdische Dienstmädchen vom eigenen Bruder schwanger, der als Illegaler im Heizungskeller auf seine große Stunde wartet. Und da steigt die Flut nicht nur als Wasserpegel des südlichen Gewitterregens an; nein, sie breitet sich kaum verhohlen als „Asylantenschwemme“ direkt in Nachbars Garten aus. Dick trägt Altenburg auf, und doch schimmern durch den mit zotigen Sprüchen und sicheren Pointen gespickten Text der Wirklichkeit abgelesene Beobachtungen, die eine Regie erst mal erkennen muß.

Das von jungen SchauspielerInnen aus dem Dunstkreis der Ostberliner Ernst-Busch-Hochschule dominierte Bremer Ensemble erreichte in seiner kurzen Vergangenheit Bestform, wenn RegisseurInnen mit dem Gespür für das Sublime in Text und Bildern die Spielleitung hatten. Es ist kein Zufall, daß Frauen wie Konstanze Lauterbach, Barbara Bilabel oder Christina Friedrich in den drei Jahren der Intendanz von Klaus Pierwoß im Sprechtheater die Höhepunkte setzten. Doch Tom Kühnel und Robert Schuster gesellen sich nicht in diese Reihe: Unter den ebenfalls „bei“ Ernst Busch ausgebildeten Endzwanzigern bricht der in Bremen zur Ergänzung verwandelte Gegensatz von Ost und West wenig fruchtbar wieder auf.

„Alles dient dem Text und damit dem Autor“, ließen die beiden jetzt ans Schauspiel in Frankfurt am Main wechselnden Regisseure die LeserInnen der Mai-Ausgabe von Theater der Zeit wissen. Und erklärten, die vielfach an westdeutschen Theatern beobachtete Überbetonung des Emotionalen und Psychologischen abzulehnen. Also reisen sie wohl talentiert und hoch gelobt durch die Lande – zu hoch gelobt und mit dem falschen Stück betraut, wie sich in Bremen zeigt.

Denn Altenburgs Stück ist ein West-Stück, die Figuren, Klischees und Sorgen, Nöte, Sprüche entstammen dem westlichen Teil der Republik, in dem der Schriftsteller Kraus König ist für einen Tag. Doch wo Kühnel/Schusters Kraus herkommt, ist ungewiß. Das Verzweifelte, Müde, Herrische, Zynische und Abgelebte, das in diesem Typen wabert, kommt aus dem Munde Peter Pagels als monotones Lamento daher und verfärbt sich nicht mal nach der sechsten Flasche Wein. Als König in Büchners „Leonce und Lena“ oder als Onkel in Lorcas „Doña Rosita“ hat dieser Schauspieler schon im Trübsinn gebadet und die Melancholie geadelt – hier hat und behält er die Hand in der Hose, weil er sich nicht anders zu helfen weiß. Genauso Katrin Heller, die als Asra in ihrem roten Minikleid aus dem Schickimicki-Café Einstein statt aus dem wilden Kurdistan in das Stück verschlagen geworden zu sein scheint. Auch Christoph Tomanek als ihr Bruder vilsmaiert im grünen Pullover mehr, als ihm lieb sein darf. Völlig konturlos Detlev Greisner als Verleger.

Einzig Susanne Schrader und Vera Lippisch stolzieren als schreckliche Schwestern hüftwackelnd über die Bühne und trauen sich im Schutz ihrer Greisenmasken und kurz über den Nabeln wattierten Hängebrüste (Kostüme: Susanne Goder) wenigstens im Ansatz zu, was den anderen dank Kühnel/Schuster fehlt: Subtext nämlich und gelegentlich auch Emotionen. Kurzer Beifall, acht Bravos und ein Schlußruf voller Spaß am falschen Ärger.

„Alles wird gut“ von Matthias Altenburg. Regie: Tom Kühnel und Robert Schuster. Bühne: Jan Pappelbaum. Schauspielhaus Bremen.

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