: Blaßblau gegen grelle Theorie
■ Der Bremer Kunstprofessor Jost Funke in der Städtischen Galerie: Eine vierzigjährige Suche nach dem eigenständigen Stil
Blaßblaue Rechtecke, kaum abgehoben vom Weiß der Leinwand. Blaßblaue Quader auf blaßblauem Grund. Weiße Quadrate, im Weiß der Umgebung verschwimmend. Das zeigt ab morgen die Städtische Galerie. Es sind die „Leerstellen“des Kunstprofessors Jost Funke, der seit drei Jahren mit seiner Malerei jenen „blancs“, den Orten der Stille und Andacht nachspürt, die einst Proust auf seiner „Suche nach der verlorenen Zeit“leiteten. „Das Innehalten, das Schweigen, das Nicht-Zeigen zum eigentlichen Bildgegenstand werden zu lassen“, will der Künstler verfolgen. Denn Funke hält nichts von den großen Gesten, vom Pathos der Jugend und vom angestrengten Mühen um Originalität und hat, wie er sagt, „nie eine Verpflichtung empfunden, in einer bestimmten Szene dabeizusein“. Stattdessen konzentriert er sich lieber auf eine radikale Reduktion, sowohl in formaler als auch in farblicher Hinsicht.
Das war beileibe nicht immer so. Betritt man nämlich den dritten Raum der Ausstellung „Vier Dekaden“, so schlägt einem ein sprunghaftes Gemisch aus konstruktivem und gestischem Duktus in teilweise überraschend grellen Farben entgegen. Erklärlich wird dieser Bruch dadurch, daß die Ausstellung nicht nur aktuelle Werke, sondern einen Überblick über Funkes ×vre der vergangenen vier Jahrzehnte zeigt. Und dabei handelt es sich laut Hans-Joachim Manske von der Städtischen Galerie um das Werk einer „zwischen Theorie und Praxis zwiegespaltenen Person“.
In der Tat. Denn eine kontinuierliche Stilentwicklung läßt sich hier nicht ausmachen. Vielmehr zeigen die Bilder eine sprunghafte Auseinandersetzung mit den verschiedensten Tendenzen der Kunstgeschichte, vom Expressionismus über den Kubismus bis zur informellen Malerei, von Anklängen an Munch, Kandinsky oder Feininger bis hin zu Farbmeditationen a la Graubner oder Aktzeichnungen von fast groszscher Strichführung. An solcher Stiloffenheit erkennt man den Kunstdidakten, als der sich Jost Funke mindestens ebenso begreift wie als Künstler. Schließlich ist er seit zweieinhalb Jahrzehnten Professor für Kunst und Kunstgeschichte an der Hochschule Bremen. Aus der Vermittlungsbemühung des Didaktikers hat er seine Bilder folgerichtig hier als „Gang gegen die Zeit“gehängt, als eine rückwärtsgerichtete Chronologie, bei der man die frühen Werke zuletzt zu Gesicht bekommt.
Lohnend ist diese Abarbeitung an der Kunstgeschichte vor allem dort, wo Funke sich kompromißlos der Wirkung seiner Strichführung hingibt – sei es bei den mit scheinbar erregter, zittriger Hand gezeichneten Akten, sei es beim groben Pinselstrich seiner düsteren Acryl-Aquarelle. Am überzeugendsten ist Funkes 1995 entstandene Serie aus fünf kaum nuancierten Quadraten, in denen zum ersten Mal so etwas wie ein eigenständiger Stil sichtbar wird. Vor ihnen läßt sich auf beeindruckende Weise frei nach Max Wertheimer die „Gestalthaftigkeit der Wahrnehmung“erleben. Moritz Wecker
Jost Funke, „Vier Dekaden“, in der Sädtischen Galerie im Buntentor, bis 20. Juli. Eröffnung: morgen, 19 Uhr. Katalog 20 Mark
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