piwik no script img

Udo J. – ein Opfer von Pannen

■ JVA-Beamter muß keine Konsequenzen fürchten / Strafverfahren werden eingestellt

Der Häftling Udo J. hat Selbstmord begangen. Davon sind Staatsanwaltschaft und Gerichtsmediziner überzeugt. Wie berichtet, hatte sich der Gefangene im Februar in der Beruhigungszelle der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen erhängt. Kurz vorher hatte er versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Sein Tod ist auf eine Kette von Pannen und Fehleinschätzungen seitens der JVA-Beamten zurückzuführen. Das mußten Staatsrat Ulrich Mäurer und Manfred Wiegand, kommissarischer Anstaltsleiter, gestern zugeben. Mäurer geht allerdings davon aus, daß die „Fehler“„strafrechtlich nicht relevant“seien. Deshalb würden die Strafverfahren gegen den zuständigen Beamten wegen fahrlässiger Tötung und unterlassene Hilfeleistung voraussichtlich eingestellt. Die Einstellung erschwert es zudem, den Beamten im Rahmen eines Disziplinarverfahren zu belangen.

Die Chronik des Knast-Skandals:

l Gegen 14.30 Uhr versucht J., sich die Pulsadern aufzuschneiden, und droht mit Selbstmord. Die Verletzungen werden im Lazarett behandelt. Der Beamte, der einen Lehrgang zum Sanitäter bei der Bundeswehr absolviert hat, glaubt nicht an einen Selbstmordversuch. Im Dezember 1996 hat er einem schwer herzkranken Mann eine viel zu geringe Dosis eines Medikamentes (fünf ml statt 10 ml) verabreicht und dafür einen Verweis bekommen. Das bestätigte Wiegand auf Nachfrage der taz.

l Die Selbstmorddrohungen werden auch von den Beamten in der Vollzugsgruppe nicht ernstgenommen. Eine folgenschwere Fehleinschätzung: Da die Beamten eine Selbstverletzung befürchten, stecken sie J. in die Beruhigungszelle, ohne einen Arzt zu Rate zu ziehen (§ 88 Strafvollzugsgesetz). Bei Selbstmordgefahr hätten sie einen Arzt rufen müssen (§ 91). Auch der sozialpsychiatrische Dienst wird nicht eingeschaltet.

l Um 15 Uhr wird J. in die festerlose Zelle im Keller gebracht. Die angeordnete stündliche Kontrolle fällt aus. Der Beamte sieht noch einmal nach dem Häftling – zwischen 15.20 und 16.45 Uhr. Wann genau kann nicht mehr geklärt. Der Kontrollgang ist – entgegen den Vorschriften – nicht schriftlich festgehalten worden. An diesem Nachmittag gibt es einen Brand in einer Zelle.

l Als der Beamte um 19.45 Uhr noch einmal nach dem Knacki sehen will, ist der Mann tot. Er hat sich mit den Streifen seines Schlafanzuges an einer geöffneten Essensklappe erhängt. Die Klappe hätte laut Dienstvorschrift geschlossen sein müssen. Fazit der Kripo: Die offene Klappe machte den Selbstmord überhaupt erst möglich.

Der Verdacht der Familie, daß der Tod von Udo J. kein Selbstmord war, wird von Gerichtsmediziner Dr. Thomas Krämer, der die Leiche obduziert hat, verneint. Die Verletzungen am Kopf, die die Familie fotografiert hatte, stammten von der Obduktion. Laut Gesetz muß bei einer Obduktion auch der Schädel geöffnet werden. Die Schnitte an den Unterarmen seien sogenannte „Probierschnitte“gewesen. „Auf die hätte man natürlich reagieren müssen. Das ist ganz klar unterschätzt worden“, sagte Krämer am Rande der Pressekonferenz gegenüber der taz.

Justizstaatsrat Ulrich Mäurer nahm die Beamten in Schutz. „Es sind Fehler gemacht worden, da gibt es nichts zu beschönigen.“Der Tod des Häftlings sei „bedauerlich“. „Aber geben Sie dem Strafvollzug eine faire Chance. Im Nachhinein sind wir immer klüger.“ Kerstin Schneider

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen