■ Vorschlag: Es hält kein Zug in Irgendwo: Die Kanacteurs im Mosaik
Vorschlag
Es hält kein Zug in Irgendwo: Die Kanacteurs im Mosaik
Ein Bahnsteig, irgendwo zwischen Istanbul und Berlin. Hier begegnen sich, aus entgegengesetzten Richtungen kommend, zwei Türken – deutlich zu erkennen am überdimensionalen Schnurrbart und am leuchtendroten Fez. Der eine ist auf dem Weg in die Türkei, der andere will nach Berlin. Nur: Es hält kein Zug in Irgendwo. Ab und an rauscht ein Zug vorbei, der Rest ist Warten.
Genügend Zeit für die beiden also, sich näher kennenzulernen – näher, als ihnen am Ende lieb ist. Vorsichtig kommt es zur pantomimischen Annäherung, zur Konversation. Der eine, dessen Fez ein schwarzrotgoldenes Abzeichen ziert, ist mächtig von sich und seiner Welterfahrenheit überzeugt und hat schlechte Manieren. Der heimreisende Deutschtürke. Der andere, etwas unbedarft und klumsig, reist erstmals außerhalb des 352,5-Seelen-Dorfs Sümbüllü, aus dem er stammt. Der auswandernde Gastarbeiter.
Das in dieser prototypischen Konstellation geborgene komödiantische Potential wird von den beiden „Kanacteurs“ Hasan Ali Mete und Cem Sultan Ungan mit der gebotenen Respektlosigkeit und mit viel Liebe zum Detail auf die Bühne geholt. Ionesco goes Bosporus: Eine Mischung aus schwarzer Slapstickkomödie und absurdem Theater, was die Urheber als „Sembolik Comedy“ in der Tradition der satirischen „Orta Oyun“-Hoftheaterstücke des 18. Jahrhunderts verstanden wissen wollen. Wie auch immer, das Ergebnis ist erfrischend weit entfernt vom gutwilligen Witz wohlfeiler Gastarbeiterkomödien – mehr Harald Schmidt als Heinrich Böll, mehr Gerhard Polt als Günter Wallraff.
Die Geschichte lebt in erster Linie von der schauspielerischen Präsenz der beiden Darsteller, die das Stück mit dem Berliner Regisseur Jean Verdier entwickelt haben. Die beiden haben in zahlreichen deutschen und türkischen Theaterproduktionen mitgewirkt, in Kurzfilmen und Fernsehspielen gespielt. Doch erst in ihrem eigenen Stück können sie nun ihrem komödiantischen Talent freien Lauf lassen, Mimik und Körpersprache bis zum Anschlag ausfahren. Dabei erweisen sie sich, auch wenn Tempo und Spannung nicht immer durchgehalten werden, als würdige Enkel des Komödianten Kemal Sunal. Nur ist ihr Humor eine Spur böser, etwa wenn sie
im turbulenten Finale die Spielhandlung türkischer Melodramen parodieren und die dazugehörigen Familienwerte gründlich auf den Kopf stellen. Daniel Bax
„End-Zug“, vom 23. bis 25. Mai und 30. Mai bis 1. Juni um 20 Uhr im Mosaik, Oranienstraße 34, HH, 1. OG, Kreuzberg
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